mdr, Figaro, Länge: 4 Minuten
Das Leben ist eine Baustelle
 

Autoren: Antje Lang-Lendorff und Matthias Zuber
Redakteur: Max Waibel
Länge: ca. 4’
Sendung: 12.09.2005
Fassung: 1 / 08.09.05

Beitrag:

Atmo 1: Hämmern, Klopfen, Baulärm. Russisch-japanisch-polnisches-etc. Stimmgewirr. (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 1 und TRACK 2 gemischt)

Sprecherin : Hiroaki Shikidi aus Tokyo steht in schwindelnder Höhe über einer mittelalterlichen Burganlage. Mit einem Spaten löst er alte Dachpappe vom Gebälk und reicht sie seinem russischen Kollegen auf dem Baugerüst. Die zwei Jugendlichen gehören zu einem internationalen Baulager, das der Verein „Offene Häuser“ auf der Burg Lohra im Norden Thüringens organisiert. Wie diese beiden kommen jeden Sommer zwischen 120 und 150 junge Menschen aus der ganzen Welt hierher, um zusammen mit dem Verein „Offene Häuser“ das Baudenkmal vor dem Verfall zu retten.

Der Verein kümmert sich um mehrere historische Gemäuer in den neuen Bundesländern. Er setzt sie mit seinen internationalen Workcamps nicht nur instand, sondern stellt sie auch für Seminare, Konzerte oder einfach nur zum Übernachten zur Verfügung.

Atmo 2: Holzknirschen. (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 1 bei etwa 40’’)

Sprecherin : Der deutsche Zimmermann, der die Arbeiten auf dem Dach anleitet, reicht einen besonders großen Balken an Hiroaki Shikidi weiter.

O-Ton 1 (Hiroaki Shikidi) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 6): „I love German people. They are so kind to me.“ [Kichern im Hintergrund]

VOICEOVER: Ich mag die Deutschen. Sie sind so nett zu mir.

Sprecherin : Seine Freundin findet das lustig. Zur Zeit bauen auf Burg Lohra insgesamt 28 Jugendliche aus neun Ländern. Nach der Arbeit wird zusammen gegessen.

Atmo 3: Lagerfeuergeräusche. [liegen auch unter Sprecherinnen Ton und enden mit Klatschen] (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 4)

Sprecherin : Mit den Handwerkern, Architekten und den Campleitern sitzt die internationale Baukolonne abends am Lagerfeuer.

Atmo 4: Lagerfeuergeräusche. Japanische und Russische Lieder werden gesungen

Sprecherin : Ein Zwischenfall Mitte August wirft einen Schatten auf die sommerliche Idylle. In Volkenroda, einem kleinen Ort zirka 25 Kilometer von Burg Lohra entfernt, überfielen drei Jugendliche nachts ein internationales, kirchliches Camp. Sie zerstörten ein Zelt und schossen mit einem Luftgewehr. Bevor sie einen Molotov-Cocktail werfen konnten, wurden sie von der Polizei gestellt.

O-Ton 2 (Thomas Soszynski) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 7 und TRACK 8): „Wir gehen davon aus, dass sich die Handlung gegen die ausländischen Jugendlichen richten sollte. Außer dem Brandsatz und dem Luftgewehr haben unsere Kollegen auch eine Reichskriegsflagge bei den drei Beschuldigten gefunden.“

Sprecherin: ... sagt der Pressesprecher der Polizeidirektion Nordhausen, Thomas Soszynski.

Sprecherin: Wie geht der Verein „Offene Häuser“ mit solch einer Bedrohung um?

O-Ton 3 (Bert Ludwig) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 9): „Mit Ausländerfeindlichkeit hatten wir hier - ehrlich gesagt - noch nie zu tun.“

Sprecherin: Bert Ludwig, Organisator der Baulager, und sein Verein wollen nicht nur alte Gebäude vor dem Verfall retten. Sie wollen Orte der internationalen Begegnung schaffen, die eine Alternative zu den Konsumwelten der Industrienationen darstellen. Räume, die offen sind für alle. Dennoch weiß Ludwig:

O-Ton 4 (Bert Ludwig) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 10): „Wenn man so offen arbeitet, wie wir arbeiten, ist immer ein Restrisiko.“

Sprecherin: Das allerdings durch die gute Einbindung ins Gemeindeleben – seiner Meinung nach - reduziert wird:

O-Ton 5 (Bert Ludwig) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 11): „Als ich einmal nachts mit einem geborgten Auto ankam, dann war da der Nachbar mit einem großen Hund und der Taschenlampe draußen und brüllte mich an. Sagte ich ihm; bin nur ich, kannst Dich wieder ins Bett legen.“

ATMO 5 (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 5): Dorfkneipengeräusche [liegen unter Sprecherinnenton und O-Ton 6]

Sprecherin: Von Ausländerfeindlichkeit ist auch in der Dorfkneipe „Am Anger“ in Großlohra unterhalb der Burg nichts zu spüren. Im Gegenteil, meint Dirk Redieske.

O-Ton 6 (Dirk Redieske) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 12): „Es ist gut, dass jemand sich um die Burg kümmert, es ist gut, dass die Burg belebt ist. Das ist ganz wichtig für unsere Gemeinde.“

Sprecherin: Vielleicht wird der Verein „Offene Häuser“ auch deshalb akzeptiert, weil er aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR kommt. Mitte der 80er Jahre begannen die Handwerker und Architekten des Vereins, alte Dorfkirchen zu restaurieren. Mit den Gebäuden schufen sie sich in der DDR Freiräume von Ideologie und Diktatur. Nach der Wende konnten sie ihre Arbeit öffentlich und ungehindert machen. Mit ihrem Konzept der „offenen Häuser“, das versucht Räume jenseits von Tourismus, Spektakel und Kommerz zu nutzen, schwimmen sie auch in der Bundesrepublik gegen den Strom.

O-Ton 7 (Bert Ludwig) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 13): „In einer Zeit, in der wir alle darauf bestimmt werden, unsere Arbeit entgeltlich verwertbar zu machen, ist es einfach nicht up-to-date, ehrenamtliche Arbeit zu machen.“

ATMO 5 (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 5): Dorfkneipengeräusche [liegen unter Sprecherinnenton und O-Ton 8]

Sprecherin: Auch Burg Lohra will der Verein Offene Häuser nicht kommerziell vermarkten. Und stößt damit auf das Unverständnis der Dorfbewohner, die hier am liebsten ein Restaurant, ein Hotel oder sogar einen Reiterhof sehen würden.

O-Ton 8 (Jörg Keitel) (OFFENE HÄUSER CD: TRACK 15): „Wenn ich so ein Gebäude richtig vermarkte, dann schaff ich auch irgendwann Arbeitsplätze. Und Arbeitsplätze bedeuten auch wieder, ich kann Leute am Ort halten, sie gehen nicht fort. Mit Sicherheit ist das, was momentan passiert, nach unserer Vorstellung zu wenig.“

Sprecherin: ... sagt Jörg Keitel in der Dorfkneipe „Am Anger“. Die Burg da oben mit den Japanern, Koreanern, Russen und dem Konzept der „Offenen Häuser“ bleibt für die da unten dann doch irgendwie fremd.