Berliner Zeitung, 09.08.1996

Casablanca als Comic

Fantasy Filmfest: Pamela Andersen ist die Actionheldin "Barb Wire"

Frauen sind die besseren Männer. Der Beweis: "Barb Wire". Sie kann saufen wie Tom Doniphon (John Wayne), sie prügelt besser als John Spartan (Sylvester Stallone), sie schießt treffsicherer als Dutch Schaeffer (Arnold Schwarzenegger) und: Sie sieht dabei verdammt besser aus als der verschwitzte John McClane (Bruce Willis).

"Barb Wire" ist Pamela "Baywatch" Anderson Lee und der schärfste Actionheld seit Leatherfaces Säge. Das Fantasy Filmfest zeigt heute dieses poppige leder-latex-sado-maso-postpunk-comic Casablanca-Remake um 20 Uhr 30 im Royal Palast. Wo einst Rick Blaine (Humphrey Bogart) lakonisch lächelte, wogen in "Barb Wire" straffe, weibliche Rundungen in hautengem Latex. Wo zu Beginn von "Casablanca" die Kamera über eine Landkarte gleitet, gleitet sie in "Barb Wire" über die Hügel, Täler und Anhöhen der Synthese aus den Männerphantasien der 90er. Barb ist Tänzerin. Sie räkelt ihren synthetischen Körper von Wasser besprenkelt unter den begehrenden Blicken der Männer in einer Bar kurz nach dem zweiten amerikanischen Bürgerkrieg im nächsten Jahrtausend.

Die Geschicht des Films? It `s the same old story. Barb besitzt eine Bar, den "Hammerhead", in Steel Harbour. Der letzten freien Stadt, die noch nicht von den amerikanischen Faschisten besetzt, jedoch zur Kollaboration gezwungen ist. Steel Harbour ist das Casablanca der Zukunft. Alle Verfolgten versuchen von dort aus eine Passage in das freie Kanada zu ergattern. Auch eine Wissenschaftlerin - Viktor Lazzlo wünscht viel Glück - befindet sich auf der Flucht vor der schwarzbestiefelten Neuen Ordnung. In ihrer Begleitung befindet sich ein kampferprobter Widerstandskämpfer, der Barb Wire aus den Tagen des Kriegs kennt. Und wie Ilsa Lund (Ingrid Bergmann) und Rick, hat der muskelbepackte Krieger Barb einst aus politischen Gründen verlassen. Und wie Ilsa auf Ricks ist er auf Barbs Hilfe angewiesen. The same old story, eben.

Aber: Die Hauptakteure kommen sich nie wirklich nahe. Die Berührungen sind flüchtig. Nur in den Kampfszenen treffen Körper aufeinander. Zärtlichkeiten werden in fast nur noch symbolischer Form im Lift, auf der Tanzfläche oder an Tote verschenkt. Der zwischenmenschliche Kontakt ist gefährlich geworden. Jede Berührung bedeutet das Risiko der Verletzung oder gar den Tod. Lack-, Lederkorsagen oder Muskeln schützen die Körper, die durch den Film streifen und den Geruch einer verführerischen Pin-Up-Sexualität verströmen. Man kann diese Körper nicht berühren, nur betrachten - sicher vor physischer und psychischer Verletzung. So spielt es auch keine Rolle, ob sich hinter den Muskeln, den riesigen Brüsten, dem schwarzen Lack ein Mann oder eine Frau verbirgt. Ob der Körper real oder eine Illusion ist. Der Körper wird Schiefertafel für Zeichen. Für Zeichen, die jederzeit abgewischt und durch neue ersetzt werden können. Gestern noch Rettungsschwimmerin und heute Schwarzenegger-Klon. Der Charakter ist austauschbar.

Die Figur Ricks wurde erst durch die Person Bogarts lebendig. Barb braucht keine Person, durch die sie lebendig wird. Barb ist einem Comic entsprungen. Sie war schon immer lebendig. Sie ist ironisches Zitat. Sie braucht keine Psychologie, keine Individualität, die sich als ein Projekt der Moderne entpuppt hat. Und: "Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung," schreibt Umberto Eco, "daß die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann [...], auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld". Dies geschieht in der Form des Zitats. Und Zitate brauchen keine Close-Ups.

Stattdessen fährt die Kamera über makellose Hautpartien oder zelebriert ausgefeilte Schieß- und Prügel-Balletts. "Barb Wire" kommt aus dem Bauch der 90er: Das Leben ist eine große grausame Party. Und über all dem steht breitbeinig im glänzenden schwarzen Latex-Body Barb und zischt: "Don´t call me babe!" Bang!

Text: © Matthias Zuber / polyeides medienkontor