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  mdr, Ausstrahlung: 29.09.2005, Länge: 6 Minuten
Das Leben ist eine Baustelle –
Der Verein OFFENE HÄUSER
 
Autoren: Antje Lang-Lendorff und Matthias Zuber
Kamera: Matthias Zuber und Antje Lang-Lendorff
Schnitt: Christine Denk, Antje Lang-Lendorff und Matthias Zuber
Produktion: polyeides medienkontor
Redakteur: Steffen Keitel
Länge: 5’ 45’’
Fassung: 1 / 21.09.05


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SprecherIn: Es brennt. Rechtsradikales Gedankengut, Langweile und Menschenverachtung sind ein explosives Gemisch. - Kürzlich wollten drei junge Männer einen Molotowcocktail werfen auf ein Jugendcamp im thüringischen Volkenroda.

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SprecherIn: Hier standen die Zelte der 2000 Teilnehmer aus über 20 Nationen. Die Polizei war glücklicher Weise auch vor Ort.

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O-Ton Thomas Soszynski (Pressesprecher der Polizeidirektion Nordhausen): „Wir gehen davon aus, dass sich die Handlungen gegen die fremden Jugendlichen, also die ausländischen Jugendlichen, richten sollten und dass man vorhatte, diesen Brandsatz hier im Zeltlager zu zünden und das ist glücklicherweise verhindert worden.“


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SprecherIn: Nur 25 Kilometer entfernt arbeiten jeden Sommer 150 junge Menschen aus der ganzen Welt. - Fremde. - Sie sind Teilnehmer des Workcamps, das der Verein „Offene Häuser“ hier organisiert. „Offene Häuer“ kümmert sich um mehrere historische Gemäuer in den neuen Bundesländern und rettet sie so vor dem endgültigen Verfall.

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SprecherIn: Der Verein ging aus einer Gruppe der Bürgerrechtsbewegung der DDR hervor. Bert Ludwig ist Architekt und Gründungsmitglied.

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O-Ton Bert Ludwig (Gründungsmitglied des Vereins „Offene Häuser“): „Der Verein „Offene Häuser“ hat eine Reihe von Baudenkmalen in Pflege, die er mit Hilfe von Freiwilligen Stück für Stück instand setzt und belebt.“

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SprecherIn: Getragen wird der Verein durch ehrenamtliche Arbeit, Spenden und den Einnahmen aus den Gebäuden. Hier auf Burg Lohra ist „Offene Häuser“ seit über 10 Jahren tätig. Der älteste Teil der Burg stammt aus dem 10. Jahrhundert. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie stark zerstört und seit dem 18. Jahrhundert nutzen ihre wechselnden Eigentümer die Gebäude als Ställe, Lager und Scheunen. Bis 1977. Als „Offene Häuser“ auf Burg Lohra aufmerksam wird, steht sie seit über zehn Jahre leer. Im Dezember 2000 übernimmt der Verein die Burg ganz und kämpft um deren Erhalt -
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SprecherIn: - mit ausländischen Jugendlichen aus der ganzen Welt –

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SprecherIn: - wie hier eine Gruppe Russen, die den inneren Burggraben mähen.

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SprecherIn: Drei von ihnen sind Studenten aus dem russischen Askhangelsk. Vladislav Gliznutsa, Andrey Aksyuta und Sergey Bragin. Was fasziniert sie an diesem Projekt?

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O-Ton Sergey Bragin

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VOICEOVER: Mich hat vor allem beeindruckt, mit Menschen aus anderen Ländern etwas gemeinsam zu machen. In Russland hätte ich nie die Möglichkeit gehabt, in einer Volleyballmannschaft zusammen zu spielen mit Tschechen, Polen und Deutschen.

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SprecherIn: So dient das Projekt „Offene Häuser“ nicht nur der Sanierung alter Mauern, sondern in erster Linie der Völkerverständigung.

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SprecherIn: In der DDR sanierte „Offene Häuser“ alte Kirchen und schaffte so ideologische Freiräume innerhalb eines totalitären Systems. Mit der Wende änderte sich die Arbeit des Vereins.

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O-Ton Bert Ludwig (Gründungsmitglied des Vereins „Offene Häuser“): „Ausgehend von dieser Initialzündung: jetzt darf man, jetzt muss man sich nicht mehr verstecken. Jetzt muss man sich nicht nur auf das kirchliche Gebiet beschränken. Jetzt darf man sich auch um andere Gebäude, die leer stehen, kümmern. Und 1990 wurde das dann eine sehr lebendige und dynamische Geschichte.“

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SprecherIn: Freiraum will „Offene Häuser“ auch nach der Wende sein. Freiraum jenseits der Konsum- und Wirtschaftswelten. Ein Raum zum Verschnaufen, zum Kennenlernen anderer Menschen aus fremden Ländern.

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SprecherIn: Neben Spenden finanziert sich der Verein auch durch die Vermietung der alten Gebäude. Der evangelische Jugendtag der Kirchenprovinz Sachsen hat sich als Kunde angemeldet. Die freiwilligen Helfer falten die Sitzgelegenheiten für das Ereignis. Der Leiter des Jugendtags ist Jens Schramm. Er wurde auf das Projekt bei einem Seminar aufmerksam. Ihm gefiel die Grundidee von „Offene Häuser“

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O-Ton Jens Schramm (Leiter des evangelischen Jugendcamps „Angedockt“ der Kirchenprovinz Sachsen): „Ich denke nur durch direkte Begegnung und durch direkten Kontakt zwischen Jugendlichen kann es gelingen, Völkerverständigung zu erreichen. Toleranz, Gemeinschaftserfahrung und all die Dinge, die bei Jugendlichen oft unkomplizierter sind, wenn sie dann auch noch an einer gemeinsamen Sache arbeiten.“

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SprecherIn: Scheinbar ist das Projekt gut in der Gegend angekommen. Nachbarn helfen schon einmal mit ihrem Traktor aus. Obwohl er das Problem von rechtsradikalen Gewalttaten in der Gegend mit Sorge sieht, ist Bert Ludwig, was das Projekt „Burg Lohra“ betrifft, entspannt. Denn -


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O-Ton Bert Ludwig (Gründungsmitglied des Vereins „Offene Häuser“): „Als ich einmal nachts mit einem geborgten Auto ankam, dann war da der Nachbar mit einem großen Hund und der Taschenlampe draußen und brüllte mich an. Sagte ich ihm; bin nur ich, kannst Dich wieder ins Bett legen.“

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SprecherIn: Doch wie wird das Projekt unten in der Dorfkneipe am Fuß der Burg gesehen?

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O-Ton Dirk Redieske: „Es ist gut, dass jemand um die Burg sich kümmert. Das ist sicherlich unbestritten. Es ist gut, dass die Burg belebt ist. Nur die Integration im Dorf – das fängt zum einen bei den Jungendlichen hier an, die mit einzubeziehen ....“

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O-Ton Jörg Keitel: „Man kennt die Situation und die Jugendlichen müssen irgendwie von der Straße. Da muss man was tun. Die lassen sich sicher ganz schnell verleiten von Chaoten, Krawallmachern.“

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SprecherIn: Von einem Raum jenseits der Konsumwelten hält man hier nicht viel.

O-Ton Jörg Keitel: „Wenn ich so ein Gebäude richtig vermarkte, dann schaff ich auch irgendwann Arbeitsplätze. Und Arbeitsplätze bedeuten auch wieder, ich kann Leute am Ort halten, sie gehen nicht fort. Das, was momentan passiert ist nach unserer Vorstellung zu wenig.“

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SprecherIn: So bleibt die Burg da oben mit den Fremden und ihrem Konzept für die da unten dann doch irgendwie fremd.