ARTOUR, Erstsendung: 20.05.2005, Länge: ca. 04’ 45’
Die neuen Hebräer
100 Jahre Kunst in Israel
 
Autor: Matthias Zuber
Redakteur: Titus Richter
Sprecher:

Beitrag beginnt bei TC: 10:00:00:00
(Im Folgenden wird der Timecode nur in Minuten und Sekunden angegeben)


Sprecher bei TC: 00:04

Seltsames geschieht in Berlin. Im Schatten des Martin Gropius Baus steht seit einigen Tagen ein schwarzer Container zwischen dem Museum und der ehemaligen Gestapozentrale. Ein Container an diesem Platz weckt Assoziationen an Menschentransporte, Vernichtungslager. An den Holocaust.

Die Installation trägt den Titel „No. 091138 – 05“. Die neun Männer, die sie schufen, sind Aktionskünstler aus Israel und unter dem Namen ZIK Group bekannt. Der rätselhafte Titel verbindet das Datum der Kristallnacht mit der Gegenwart. Über die persönlichen Gefühle an diesem Ort befragt, antwortet einer:

O-Ton Shmuel Davidson bei TC: 00:34

„The Jewish people that are connected to this place are like part of my family. So it’s very strong feelings. But it was long time ago. But there are very strong feelings.“

Voiceover bei TC: 00:40
„Die Juden, die direkt mit diesem Ort verbunden sind, sind wie Teile meiner Familie. Deshalb gibt es hier sehr starke Gefühle. Aber das alles ist lange her. Und dennoch sind es sehr starke Gefühle.“

Sprecher bei TC: 00:55
Auch Sechzig Jahre nach Kriegsende und vierzig Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, fällt das Sprechen über die gemeinsame Geschichte noch immer schwer. Eine Ausstellung im Martin Gropius Bau, zu der auch die Installation der ZIK Group gehört, will vermitteln.

Sprecher bei TC: 01:15
„Der wandernde Jude“ von Shmuel Hirszenberg ist der Beginn der Ausstellung. Er thematisiert Verfolgung und Vertreibung der Juden. Eine Verfolgung, die den Wunsch nach Frieden, einem eigenen, heilen Stück Land und einem eigenen Staat wachsen lies, wie man in der Ausstellung an verschiedenen alten und neuen Kunstwerken sehen kann. Die zionistische Bewegung war geboren. 1905 beschlossen die Mitglieder des 7. Zionistenkongresses, die Gründung einer jüdischen Kunstakademie in Jerusalem; der Bezalel Akademie. Man wollte eine eigene, eine eigenständige Kunst schaffen für eine eigene Nation und orientierte sich an der Kultur und den Menschen vor Ort in Palästina. Man malte bewusst naiv Szenen des Landlebens, kleidete sich arabisch. Damit war spätestens Schluss nach dem arabischen Überfall vom August 1929. Der neue Hebräer sieht auf den Bildern mitteleuropäischer aus. Er sollte gesund, stark, überlegen sein. Gerade auch nach dem Holocaust. Er sollte die passive Opferrolle abschütteln von seinem athletisch gebauten Körper.

Sprecher bei TC: 02:31

Das Ideal des neuen Menschen bricht sich erst in der Kunst der neueren Zeit ironisch, kritisch, realistisch.

Sprecher bei TC: 02:47

Wie zum Beispiel in dem Gemälde eines Einwanderers aus Osteuropa.

Sprecher bei TC: 02:56

Die Kuratorin der Ausstellung Doreet LeVitte Harten zeigt in fünfzehn Themenkomplexen die Entwicklung der Kunst in Israel und mischt die Arbeiten bekannter Künstler mit Fotografien und Alltagsgrafik, um so die Werke in ihrer Zeit verständlich zu machen und abzugrenzen gegenüber der Kunst anderer Nationen.

O-Ton Doreet LeVitte Harten bei TC: 03:11

Ein junger deutscher Künstler lebt in einer enorm komfortablen Situation. Er hat keinen Krieg begegnet in seinem Leben. Wenn man das vergleicht mit israelischen Künstlern, der hat Kriege hinter sich. Er muss in die Armee gehen, ob er will oder nicht. Das sind ganz andere Erfahrungen. Insofern ist die Kunst in Israel mehr politisch als in Europa.

Sprecher bei TC: 03:36

„Früchte“ nennt Sigalit Landau die Kugeln in ihren Installationen. Es sind die Titelseiten israelischer Zeitungen, die täglich von Terroranschlägen künden. Auf die Frage, ob israelische Kunst politischer sei als andere, antwortet sie:

O-Ton Sigalit Landau bei TC: 03:49

„I would not say that israel art is more political. There are some artist which are not so politically. What we expect from an artist is to be sensible to his reality. And I don’t think, we can monopolize hardship in the world.“

Voiceover bei TC: 03:54

„Ich würde nicht unbedingt sagen, dass die israelische Kunst politischer ist. Es gibt einige Künstler in Israel, die gar nicht politisch sind. Was wir von einem Künstler erwarten, ist, dass er sensibel für seine Umwelt ist. Und ich glaube nicht, dass man Elend monopolisieren kann.“

Sprecher bei TC: 04:05

Die fünfte Wunde Jesu ist für Michal Schamir ein Symbol, das international verstanden wird. Sie überträgt das Motiv aus der christlichen Ikonographie auf eine Wand und formt es aus Weingummi nach. So entsteht ein mehrdeutiges, hintersinniges Kunstwerk, das viel erzählt über Trennung, Schmerz, aber auch das Süße von Wunden, die man zu seinen Gunsten instrumentalisieren kann. Die Ausstellung im Martin Gropius Bau zeigt ein lebendiges, teilweise in sich kontroverses und äußerst spannendes Bild israelischer Kunst und macht so ein Land, seine Brüche und seine Mentalität erfahrbar.