ZDF-Sportreportage, 02.09.2001

American Dream
Michael Franke schafft als erster Deutscher nach 44 Jahren den Sprung in die amerikanische Baseball-Profiliga

Der Tau auf dem Wüstenboden reflektiert die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Es ist still. Der Wind streicht über den Sand, treibt einige Dornenbüsche vor sich her Richtung Stadt. Phoenix dämmert in den Morgen. Eine Sirene reißt die wenigen Anwohner hier draußen aus dem Schlaf. Für Michael Franke beginnt der Tag, der sein gesamtes Leben verändern wird. Nach einem kurzen Frühstück steht der 19-jährige Strausberger auf dem Spielfeld des Trainingscamps für junge Baseball-Talente im Wüstenstaat Arizona. Er weiß, dass es ein heißer Tag werden wird. Die Talentsucher der Branche, sogenannte "Scouts", haben es sich auf der schattigen Tribüne bequem gemacht. Tabakkauend beobachten sie geschützt durch ihre dunklen Sonnenbrillen das Training. Immer öfter richtet sich ihre Aufmerksamkeit auf den "German Boy". Michael bemerkt die Blicke nicht, zu sehr ist er mit dem Schlagtraining beschäftigt. Als er am Nachmittag in das Büro des Chef-Trainers beordert wird, fürchtet er, vorzeitig nach Hause geschickt zu werden. Doch es kommt ganz anders. Eine Stunde später hat Michael Franke einen Vertrag der Milwaukee Brewers in der Tasche und ist seit 44 Jahren der erste Deutsche, der bei einem amerikanischen Baseballproficlub spielen darf.


Zurück im heimischen Strausberg, einer Kleinstadt in Brandenburg, ist der Freude inzwischen die Ernüchterung gefolgt. Michael, der von allen "Mitch" genannt wird, weiß, dass die Vertragsunterzeichnung nur der Beginn eines langen und beschwerlichen Weges ist. Denn die Konkurrenz wird groß und gnadenlos sein. Zu viele Sport-Talente sind schon gescheitert an der erbarmungslosen amerikanischen Sportmaschinerie. Aber Mitch gibt sich selbstbewußt. Er möchte die Chance nutzen und sich einen Stammplatz im Farm-Team, die Nachwuchsmannschaft der Brewers, ergattern. Mitch, der mit einer Größe von 1,85 Metern und einem Gewicht von 85 Kilo eine optimale Baseballfigur besitzt, wird sich Anfang April auf den Weg machen, um den amerikanischen Baseball-Olymp zu besteigen. Dann beginnen die Vorbereitungen für die kommende Saison der Brewers. Mit 50 weiteren Spielern wird er drei Monate lang unter der Sonne von Phoenix jeden Tag acht bis zehn Stunden trainieren, tagtäglich Trainingsspiele gegen andere Profimannschaften absolvieren, bevor es im Juli mit der Saison losgeht. Er weiß, dass es kein Urlaub ist, dass er wohl kaum Gelegenheit haben wird, sich den Grand Canyon anzuschauen oder Wanderungen durch das "Tal der Sonne" zu machen. Er wird auch nichts von der atemberaubenden Landschaft und den kristallklaren Wüstenseen mitbekommen. Das Spielfeld und das Hotelzimmer werden seine neue Heimat sein.


Bis er endlich zum Einsatz in der Major League Baseball, der höchsten amerikanischen Profiliga, kommen wird, hat Mitch noch einen weiten Weg vor sich. Selbst für einen Anfänger, der sich schnell entwickelt, dauert es drei bis fünf Jahre, ehe er von der Rookie-Liga, in der die "Jungen und Neuen" spielen, über die AAA-Liga in die eigentliche Mannschaft der Milwaukee Brewers vorstößt. "Und dabei sprechen wir von einem reibungslosen und verletzungsfreien Verlauf", sagt Greg Riddoch, Director of Player Development der Brewers. Dass Mitch den Willen dazu hat, bezweifelt keiner, der ihn kennt.
Der Beitrag zeigt Mitchs erste Woche im Trainingslager und dokumentiert das Aufeinandertreffen des Strausbergers mit der knallharten Trainingsmaschinerie der amerikanischen Baseballmannschaft.

Autor: © Martin Fensch und Matthias Zuber / polyeides medienkontor