Jetzt-Magazin, 14.08.2000

Lernen von den Alten: Herbert Grönemeyer

DER MANN, DER ETWAS VON CHEMIE VERSTEHT.

Herbert Grönemeyer ist einer der erfolgreichsten deutschen Popmusiker. Er verkaufte über elf Millionen Platten und spielte in zahlreichen Filmen mit. Als vor zwei Jahren seine Frau Anna Henkel starb, zog sich Grönemeyer vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück. Derzeit arbeitet der 44jährige am Aufbau seines eigenen Labels "Grönland", auf dem er vorwiegend deutsche Bands veröffentlichen wird. Grönemeyer lebt mit seinen Kindern in London.

Können Sie sich noch an Ihre erste Liebe erinnern?

Meine erste Liebe war ein Mädchen in Holland. Sie hieß Yvonne. Da war ich zehn Jahre alt und sie war bildschön. Sie hatte wunderschöne, lockige Haare. Ich spielte immer Gitarre, um ihr zu imponieren. Und sie hat mir letztendlich, nachdem ich sie bedrängt habe, eine Locke geschenkt. Die habe ich mir dann ins Portemonnaie getan.

Haben Sie die noch?

Nein, die habe ich nicht mehr. Das war sozusagen meine erste Liebe. Meine erste Freundin war Französin und hieß Georgette. Das war in der Bretagne. Ich war 13 und sie war 16. Das war die erste Liebe, in der mehr Körperlichkeit -in Form von Küssen - eine Rolle spielte.

Haben Sie den Kontakt zu ihrer ersten Freundin aufrechterhalten?

Ich bin, bis ich 20 war, immer wieder in die Bretagne gefahren. Das Problem zwischen uns beiden war; ich sprach kein Französisch und sie kein Englisch. Wir haben also wenig geredet miteinander. Über die Jahre lernte ich dann Französisch. Irgendwann habe ich sie dann wieder in London getroffen. Da konnten wir uns relativ gut unterhalten. Wir stellten jedoch fest, daß das nichts wird mit uns beiden. Wir kamen eben aus zwei ganz unterschiedlichen Welten. Aber sie war meine erste richtige Liebe.

Was bleibt von der ersten richtigen Liebe?

Die Leichtigkeit - nicht Leichtfertigkeit. Es war so leichtfüßig und abenteuerlich. Ich kann das noch genau beschreiben, auch das Gefühl - ein Gefühl von ungeheurem Glück. Sie war sehr schön anzufassen. Das bleibt, das geht auch nie wieder weg. Das ist auch schön so.

Was ist Liebe eigentlich?

Liebe ist - glaube ich - ein chemischer Bestandteil, der auch immer wieder Glück erzeugen kann. Also Liebe ist, wenn beide in der gleichen Minute beim jeweils anderen so ein Glück hervorbingen. Und sicherlich gibt einem das Gefühl, daß man geliebt wird, oder jemanden liebt, immer wieder die Möglichkeit dieses Glücksgefühl im eigenen Kopf herzustellen. Man kann das dann immer wieder rausholen aus der Schublade, auch wenn man den anderen gerade nicht sieht. Ich glaube, Liebe ist die optimalste Möglichkeit, Momente dieser Glücksexplosionen herzustellen.

Woran haben Sie erkannt, daß Sie geliebt werden?

Man hat das Gefühl, man wird untermauert, abgestützt von unten. "Halt" finde ich den falschen Begriff, weil das mit "Festhalten" zu tun hat. Das, was ich meine, ist mehr; soetwas wie Unterbau. Man kriegt Sicherheit. Wenn man geliebt wird, wird man von unten und innen stabilisiert. Geliebt zu werden hat mit einer großen Form von Sicherheit zu tun.

Wie entsteht so etwas?

Das ist eine unbeschreibliche Chemie. Man kann das vergleichen mit Geruch oder einer schönen Atmosphäre. Das ist etwas, was einem so zufliegt, was man dann auch weitergibt. Liebe ist so etwas wie Gas. Irgendetwas, das man gerne komprimieren, in eine Flasche tun würde. Das geht aber leider nicht ...

Liebe ist etwas Flüchtiges?

Ja. Liebe ist etwas, das man immer wieder herstellen, immer wieder erneuern muß. Oder worum man betet, daß es bei einem selber auch immer wieder entsteht, für den anderen. Daß man selber immer wieder in der Lage ist, dieses Gas für den anderen herzustellen. Wo man aber auch gar nicht weiß, wie man das anrührt. Ob man den anderen anguckt, oder Blumen schickt, oder Briefe schreibt. Ich glaube, alle diese Vorgänge sind immer wieder nur der Versuch, dieses Gas herzustellen.

Wie sahen Ihre Versuche aus?

Ich bin leider nicht so der verbale oder geschenkfähige Romantiker. Ich bin leider etwas spröder (lacht). Ich denke durch meine Musik. Ich bin im Alltag eher ein etwas verschlossener, unromantischer Mensch. In meinen Liedern schaffe ich das dann zu verbalisieren. Durch die Musik braue ich mir so eine Chemie zusammen. Später dann kommt noch der Text dazu. Im Alltag kann ich das eher nonverbal über ein Gefühl von Sicherheit, Vertrauen und Verlässlichkeit, das ich geben kann.

Sie komponieren zuerst die Musik und die Worte kommen später dazu?

Die Worte legen sich auf die Musik. Sie dürfen die Musik nicht stören, sie müssen die Musik verstärken. Ich spüre in der Musik schon ohne Text unheimlich viel Atmosphäre. Wenn der Text dazukommt, kann das aus jedem Themenbereich sein, er darf aber diese Atmosphäre nicht stören.

Wenn Sie die Musik machen, stellen Sie dann dieses Liebesgas her, von dem Sie sprachen?

Das ist das große Glück, das ich in meiner Musik habe. In der Musik spüre ich, wenn ich sie schreibe, schon diese Emotionalität. Ich spiele ein Lied dann immer wieder und mache dazu mehrere Text, bis ein Text paßt. Nach einem Jahr oder zwei merke ich dann erst selber, was da eigentlich alles drinsteckt. Ich glaube, daß das Unterbewußtsein weiter vorausschaut als der Kopf.

Nach dem Tod ihrer Frau haben Sie gesagt, daß Ihnen erst im Nachhinein klar geworden ist, was Sie auf Ihrer letzten Platte "Bleibt alles Anders?" eigentlich geschrieben haben.

Das Lied "Die letzte Version vom Paradies" ist sicher ein erschreckendes Beispiel dafür: "Wir sind im Raum, der Leben heißt, Zweiwegetraum, getrennt verreist, vergiß‘ meinen Namen ..." - Da steckt soviel irre Endzeitstimmung drin. Das habe ich, als ich das Lied geschrieben habe, gar nicht verstanden, nicht gesehen. Oder "Neue Welt": "Bin nur für Dich geblieben, für nichts und wieder Dich. Hab sonst hier nichts zu verlier‘n". Diese Lieder bekommen für mich im Nachhinein einen erschreckenden Inhalt.

Viele Ihrer Lieder sind direkt an Ihre Frau Anna gerichtet, auch jetzt nach ihrem Tod. Ist Liebe ewig?

Ich glaube ja. Ich glaube die Zuneigung zu einem Menschen, kann dessen Tod überdauern. Auch bei meiner Frau ist das so. Das sind Gefühle, die sind nach wie vor so übermächtig in mir, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, daß das jemals abbricht. Dieses Gefühl nimmt nach wie vor alles ein. Ich denke, die Zuneigung zu Menschen, die kann man einfach auch nicht wirklich definieren. Zuneigung zu Kindern, zu Eltern, zu Freunden, das bleibt ein Leben lang und das macht das Leben auch lebenswert.

Gibt es außer dieser schwer definierbaren Chemie noch andere Voraussetzungen für diese Zuneigung?

Schwächen zeigen. Das ist genau der Punkt. Man kommt an einen Menschen nur ran über die weichen Stellen. Alles andere ist Getue, Härte, Verspanntheit. Der Erfolg, die Karriere, das sind Dinge, die interessieren Menschen untereinander nicht wirklich. Das sind Dinge, die bewundert man. Aber an den anderen Menschen herankommen, das schafft man nur über die weichen Stellen, wo sich einem der andere öffnet, über seine Verletzbarkeit, über seine Macken spricht. Auf der anderen Seite muß man sich natürlich auch selbst öffnen. Wenn man sich jemanden öffnen konnte und der das Vertrauen auch gerechtfertigt hat, ist man dem immer verbunden und umgekehrt. Das ist auch eine Form von Liebe. Ich denke Menschen treffen sich nur in der Schwäche.

Ist das der Zweck der Liebe?

Ja, klar. Zweck der Liebe ist, daß man jemanden vertrauen kann, daß man über diese Verletzbarkeit reden kann, und dabei dieses Gefühl von Geborgenheit entwickelt.

Aber Liebe bedeutet oft auch Schmerz.

Weil der andere den "weak spot" - den schwachen Punkt - kennt. Und wenn man sich aus irgendwelchen Gründen im Zorn trennt, kann es sein, daß man dann gegenseitig auf diese schwachen Stellen einhaut. Das hinterläßt natürlich ungeheure Verletzungen. Aber das muß man dummerweise in Kauf nehmen. Das Risiko besteht, daß man oft enttäuscht wird, aber ein Glückstreffer kann zehn Enttäuschungen auffangen.

Wie erkennt man so einen Glückstreffer?

Den kann man nicht erkennen, das ist wie Lotto. Über die Jahre entsteht ein großes Vertrauen. Ich war mit Anna 20 Jahre zusammen. Da gibt es sicherlich ein ganz unglaubliches Urvertrauen. Aber nichts desto trotz muß man das auch da immer neu erwerben. Das ist ein unaufhörlicher Vorgang. Und wenn dann plötzlich der Partner fehlt .... [Pause]

Das ist dann neben der Möglichkeit des gegenseitigen Verletzens im Zorn die zweite große Quelle des Schmerzes in einer Liebesbeziehung, wenn der Partner stirbt ....

Ja man vermißt ihn, man vermißt die Nähe, man vermißt diese Mischung aus Gas, Geruch, Sprache, Laute. Das ist so etwas ganz Komisches, wie so ein kleines Paradies, das entsteht, wenn der andere da ist, wenn er etwas erzählt, wenn man ihn sieht. Es kommt oft gar nicht darauf an, was der sagt, sondern darauf, daß man die Stimme hört, die Gestik sieht, wie er guckt, seine Aura. Wenn man davon abgekappt wird, leidet man unter grausamen Entzugserscheinungen.

Lohnt es dann überhaupt, sich auf die Liebe einzulassen?

Das ist die zentrale Frage. Tut man sich besser daran, nicht zu lieben, dann hat man auch den Schmerz nicht? Aber das führt früher oder später zu einer Austrocknung und zu nacktem Zynismus. Ich glaube einfach, diese Momente, in denen so etwas entsteht, diese Glücksexplosionen, wie ich vorhin sagte, die braucht der Mensch, um zu existieren. Wenn er sich davon abschneidet, damit er nicht leidet, schneidet er sich im Grunde genommen vom Leben überhaupt ab. Dann geht er kaputt. Man bleibt jedenfalls lebendiger mit dem Glück auf der einen Seite und dem Schmerz auf der anderen. Das hält vitaler, als in der Mitte herumzudümpeln. Aber das ist eine ganz zentrale Frage - auch für mich - wenn das Glück mit dem Tod und dem Schmerz, mit so einem radikalen Abschied verbunden ist, lohnt sich das? Aber ich glaube, daß selbst in so einem Schmerz, die Liebe übrigbleiben wird - - irgendwann. Das hoffe ich. Da kann ich jetzt nur theoretisch darüber reden, aber ich hoffe das.

In Ihrer Musik ist Ihre Frau Anna noch anwesend. Kann die Musik den Tod besiegen?

Ja, wenn das ginge. Zumindest dem Schmerz gewisse Anteile rauben. Es ist der Versuch, mit der Musik dem Ganzen etwas an Brutalität zu nehmen. Aber bei der Musik tue ich mich im Moment immer noch sehr schwer. Weil eben auch Anna ein großer Anteil war, warum ich überhaupt Musik gemacht habe. Und einen neuen Ansatz zu finden zur Musik, das ist noch sehr schwierig. Ich war früher mehr eins mit der Musik, wenn ich Konzerte machte. Jetzt beobachte ich mich zum Teil selber, wenn ich Konzerte gebe. Das ist hoffentlich nur eine Durchgangsphase. Ich habe eigentlich zur Musik ein relativ unbefangenes, ursprüngliches Verhältnis gehabt. Das hat sich ein bißchen verändert, weil eben auch derjenige, der die ganze Euphorie ausgelöst hat, nicht mehr da ist.

Text: © Matthias Zuber / polyeides medienkontor