Fortbildung

VOGELFREI
Trimediales Arbeiten als Strategie


Frei sein bedeutet oft: aufwendige Recherchen, ein tolles Exposé – Einkommen gleich null. Weil das Thema dann doch nicht passt, das Heft, das TV-Magazin oder der Radioplatz bereits voll ist. Das kann man sich als Freier nicht allzu oft leisten, denn irgendwann haben einen dann die Fixkosten aufgefressen und der Gerichtsvollzieher steht vor der Tür. Die Konkurrenz auf dem freien Markt ist groß, die redaktionellen Abnehmer begrenzt und das Honorar oft sehr schmal. Da liegt es nahe darüber nachzudenken, wie man für sich die Situation verbessern kann. Das scheinbare Zaubermittel heißt im schönsten Germanenglisch „Crossmedia“ oder altgriechischer: „Bi-„ beziehungsweise „Trimedialität“. Das bedeutet, wenn schon ein Großteil der freien Arbeit – das Exposéerstellen - höchst risikoreich ist – in Hinsicht auf den zu erwartenden Gewinn, dann sollte man daran gehen, den potentiellen Kundenkreis zu vergrößern und den Gewinn zu maximieren. Und zwar dadurch, dass man als Freier für mehrere Medien arbeitet. Print, Internet, Radio, Fernsehen. Auf diese Weise hat man mindestens 200 bis 300 Prozent mehr potentielle Kunden als wenn man nur in einem Medium unterwegs ist. Und: Man hat im Moment noch die Chance, 100 bis 200 Prozent mehr zu verdienen als der Kollege, der „nur“ in einem Medium arbeitet.

Das klingt gewagt. Aber – und hier eine persönliche Erfahrung – es funktioniert. Zwar nicht immer, aber manchmal. Und selbst, wenn es nicht auf allen drei Ebenen – Print, Radio, Fernsehen – klappt, ist es ja auch toll, wenn man die Geschichte an zwei verkauft oder überhaupt. Eine Anekdote aus meinem persönlichen Privatmythenschatz: Als ich mit einem Kollegen angefangen habe, trimedial zu arbeiten, hatten wir eine Geschichte. Es ging um einen jungen Mann aus Straußberg, der in einer US-Profimannschaft Baseball spielen durfte. Wir schrieben drei Exposés, ein langes mit acht Seiten, ein mittleres mit drei und ein kurzes über eine halbe. Die schickten wir dann an Print-, Radio- und Fernsehredaktionen. Und jetzt der Clou: Wir machten die Geschichte für das Jetzt-Magazin, den Sportteil der Süddeutschen Zeitung, für die Zeit im „Leben“, für „Nachspiel“, einer halbstündigen Sendung auf Deutschlandradio, für die ZDF Sportreportage und für den knapp halbstündigen Sendeplatz „Im Fokus“ bei Deutsche Welle TV. Die Arbeit war natürlich wesentlich mehr, als hätte man die Geschichte nur monomedial produziert. Je nach Medium ist es die doppelte oder dreifache Arbeit. Die Vorarbeit – die Recherche jedoch - war die gleiche. Der Gewinn lag – je nach dem von welchem Medium man jetzt ausgeht – zwei bis vier Mal so hoch, als bei einer Auswertung in nur einem Medium. Dazu kommt noch, dass die Arbeit in und mit den verschiedenen Medien befruchtend wirkte. Wir hatten mehr Hintergrund und Theorie recherchiert als wir das für einen Fernsehbeitrag normal getan hätten. Für die Textarbeit war von Vorteil, dass wir uns sehr intensiv beim Filmen mit den Bildern der Geschichte auseinandergesetzt haben. So wurden die Artikel wahrscheinlich bildreicher, als sie es gewesen wären bei der „normalen“ Printproduktion. Und das Radio profitierte von beiden. Für uns war es ein Startschuss und zugleich eine tolle Erfahrung, da wir das Gefühl hatten, uns wesentlich intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben, als wir das monomedial getan hätten. Auch weil wir durch diese Art des Arbeitens mehr Zeit für die Geschichte hatten. Ein Gewinn auf allen Ebenen. Am Ende eben auch auf dem Konto.

Möglich wird diese Art des Arbeitens durch die technische Entwicklung. Die Technik ist digital und in den letzten Jahren so leicht bedien- und einsetzbar geworden, dass es keine besondere Herausforderung mehr darstellen muss, als Videojournalist unterwegs zu sein. Denn das ist eng mit Trimedialität verbunden. Videojournalismus ist in den letzten Jahren ein recht überstrapazierter Begriff geworden. Irgendwie ein Modeding. Aber – der Videojournalismus macht effektives trimediales Arbeiten erst möglich. Natürlich kann man auch mit einem Kamerateam unterwegs sein, den Ton nachher für ihren Radiobeitrag auf eine CD oder einen sonstigen Datenträger überspielen. Doch das kostet Geld und Zeit. Man muss das Kamerateam bezahlen und die Überspielung. Beim videojournalistischen Arbeiten ist man Autor, Kameramann und Cutter. Das hat eine ganze Menge Vorteile – nicht nur ökonomische. Dadurch, dass man selbst filmt, kann man gezielter auch für seinen Radiobeitrag arbeiten. Denn fast allen Kameraleuten ist mehrmediales Arbeiten noch fremd. So lässt man die Kamera vielleicht auch laufen, um eine interessante Geräuschkulisse aufzunehmen, die man für den Fernsehbeitrag nicht braucht, aber fürs Radio. Beim Einspielen des Materials kann man die verschiedenen Teile dann gleich ihren unterschiedlichen Verwendungszwecken gemäß auf der Festplatte einordnen. Die Radio-O-Töne und Atmos werden als Soundfiles abgespeichert. Die Teile für den Fernsehbeitrag als Film. Wichtig, um Lizenzkonflikte zu vermeiden: Man sollte keine O-Töne, die man fürs Fernsehen verwendet auch in den Radiobeitrag einbauen. Sollte der Gesprächspartner in dem Interview einen prägnanten Ausdruck verwenden, den man sowohl fürs Radio wie auch fürs Fernsehen unbedingt verwenden will, dann bittet man ihn, diesen Satz noch einmal umformuliert ins Mikrofon zu sprechen. Doch im Normalfall ist das nicht notwendig, da bei den meisten Interviews wichtige Gedanken eh mehrmals formuliert werden. Dank der digitalen Technik ist es ganz einfach, den Kameraton in ein Radioschnittprogramm zu importieren und dort zu bearbeiten. Man spart durch diese Arbeitsweise dreifaches „Sichten“. Denn für TV, Radio und Print betrachtet man das mitgebrachte Material ja nur einmal beim Einspielen.

Angst vor der Technik? Unnötig! Auf die Kollegen im Fernsehen rollt das Thema Videojournalismus eh unaufhaltbar zu. Sie – zumindest sehr viele von ihnen - werden sich in den nächsten Jahren intensiv mit Videojournalismus auseinandersetzen müssen. Für die Kollegen im Radio liegt es nahe. Einige Sender motivieren ja bereits ihre Radiomitarbeiter auch zur Kamera zu greifen. Und wer kann heutzutage wirklich noch von dem leben, was man im Printbereich verdient? Sandra Uebbing von der Deutschen Hörfunkakademie, die ein Weiterbildungskonzept zum Thema Trimedialität entwickelt hat und anbietet, sagt zu dem Thema: „Es wird nicht mehr NUR den Print-Journalisten oder Hörfunkjournalisten geben bzw. gibt ihn bereits immer weniger. Auch wenn es einigen von uns nicht gefällt, das Berufsbild des Journalisten hat sich gewaltig gewandelt.“ Damit niemand den Anschluss verpassen muss, gibt es Seminare und Workshops, wo man sich mit Kamera und Schnitt vertraut machen kann. Und, oder man kann Kollegen assistieren, die bereits trimedial arbeiten. Denn bei aufwändigeren Projekten braucht auch der geübte Videojournalist Unterstützung. Wenn man bei Null anfangen muss, dauert das natürlich ein Stückchen. Aber – es lohnt sich. Denn wenn man einmal, wie wir, „die Mischung aus Tinte, Pixeln und Dezibel“ geleckt hat, dann sind einem kaum mehr Grenzen gesetzt. Dann ist man nicht mehr frei, sondern „vogelfrei“. Dann ist man in Printreportagen genau so zuhause wie in Radiomagazinbeiträgen, Audiofeatures, TV-Magazinbeiträgen und Fernsehreportagen. Kurz, lang – kein Problem. Und wieder ein Stück aus dem Privatmythenschatz. Ein ganz kleines und aktuelles: Über das trimediale Arbeiten haben wir uns langsam an lange und richtig lange Formate herangepirscht, ohne aber unsere Freude an den Fünf- und Achtminütern verloren zu haben. So produzierten wir ein einstündiges Radiofeature für den SWR und bereiten einen Dokumentarfilm für das ZDF vor. Allerdings nicht über dasselbe Thema. Aber aus dem Einstundenradiobeitrag wurde auch ein Achtminüter für arte. Und wenn wir den Dokumentarfilm fertig haben, wollen wir aus dem Stoff auch ein Hörspiel entwickeln. Wenn schon nicht tri-, dann wenigstens bimediale Vogelfreiheit. Und wer weiß, vielleicht wird aus dem Dokumentarfilm ja auch noch eine lange Printreportage mit einem Rechercheaufwand, den man sich als Freier nie hätte leisten können. Vogelfreie sind also ein Gewinn – auch für die Redaktionen.

Matthias Zuber ist Mitbegründer des polyeides medienkontors münchen berlin und unterrichtet u.a. an der Deutschen und der Berliner Journalistenschule und gibt Videojournalismus Workshops.