Südwestrundfunk 2 , Literatur und Feature
BUNTE TRÄNEN
Ein Requiem für Kodachrome 40

 

Autoren: Matthias Zuber und Annett Zündorf
Redakteur: Dr. Walter Filz
Redaktion: SWR2 - Literatur und Feature
Sendung: 29.10.2006
Fassung 02: 09.10.2006


Sprecherin01: Autorentext
Sprecher02: Autorentext
Sprecher03: Zitate

Sprecherin 01: Beerdigungswetter.

Sprecher 02: Der Himmel hat ein Loch in die Erde gebissen und versucht sich, darin zu verstecken. Sein dunkelgrauer Körper hängt schwer über den Bergen, schrammt über den Mont d`Or. - Dort, wo normalerweise der Lac Léman liegt, hat er seinen dunkelgrauen Kopf hineingezwängt. Feucht und kalt ist es.

Sprecherin 01: Vor dem Bahnhof auf der Rue du Simplon ist wenig los. - Die Stadt liegt grau und träge zwischen den beiden Flüssen Chamberonne und Vuachère. – Hier in Lausanne stirbt er heute und wird auch gleich begraben. Gerade einmal 41 Jahre wurde er alt. Der legendäre Super-8-Film Kodachrome 40. Zur letzten Ruhestätte geht es einen Berg hinunter. Vorbei an der „Garage“, die preiswerte Einzelvideokabinen und Pornos anbietet. Beim übernächsten Kreisverkehr rechts hoch.

Sprecher 02: Die Hochleitungen der Eisenbahn zeichnen abstrakte Bilder auf den grauen Himmel.

Sprecherin 01: Davor leuchten zwei Schilder: „Power Dance“ und „Power Salsa“. Triste Zweckbauten beherrschen die Gegend. Nur weiter oben trotzen ein paar alte, kleine Häuser mit Gärten dem Industriegebiet vor Lausanne. Ansonsten ist die Avenue de Longmalle in Renens eine schmucklose Straße. Es ist gleich die Hausnummer eins. Hier residiert die Firma Kodak – noch. Und hier - geht heute ein Stück Filmgeschichte zu Ende. Der große Parkplatz vor dem Bau in dunklem Schweinchenrosa ist fast leer. Die 41 Fenster der nüchternen Frontfassade haben ihre Augen bereits geschlossen. Die hellgrauen Jalousienlieder hängen müde im Regen. Auf dem Schweinchenrosabau sitzt – wie ein zu kleiner Clownshut – ein mit Metal verkleideter Aufbau. Das Gelb ist ausgeblichen, dafür strahlt das Kodakemblem im linken Eck umso kräftiger. Hinter der Glastürenschleuse ist - beziehungsweise war - das letzte Kodaklabor in Europa, das den Kodachrome 40 entwickeln konnte. Den legendären Super-8-Film mit dem der amerikanische Konzern 1965 Super-8 als Amateurfilmformat erfand.

Sprecher 02: Meine erste Erinnerung an die Welt ist ein enger Balkon - mit einem grünen Geländer, - einem strahlend gelben Wäschekorb, der das Grau der Wand überstrahlt - und der aus der Wirklichkeit herausglüht. - In dem Wäschekorb liege ich mit einem blauen Strampelanzug. Im Hintergrund leuchtet ein großer Birnbaum und über den Himmel ruckeln weiße, flauschige Wolken. Dem Balkon, dem Baum und dem Himmel wohnt ein Zauber inne, wie ich ihn später nie wieder erlebt habe. Lange Zeit dachte ich, dass es der Zauber des ersten bewussten und gleichzeitig noch unschuldigen Blicks auf die Welt ist. Ein Blick, der die Welt nicht in Subjekt und Objekt, in Ursache und Wirkung, in Ich und Es, in Gut und Böse unterteilt. Ein Blick, genau auf dem schmalen Grad zwischen Unbewusstsein und Bewusstsein. Es ist eine warme, friedliche Erinnerung. Eine gute Erinnerung.

Sprecher 02: Erst vor Kurzen sah ich im Haus meiner Eltern einen alten Super-8-Film von meinem ersten Weihnachtsfest. Auf der Rolle klebten auch einige Filmschnipsel vom darauf folgenden Sommer. Ein gelber Sonnenschirm mit bunten Punkten, dessen Bild mich seltsam berührte. Und plötzlich sah ich mich in dem Wäschekorb aus meiner Erinnerung liegen, in diesem Meer von warmen, freundlichen Farben. Der Birnbaum, die Wolken. Verbunden durch wackelige Schwenks der Kamera, die von meiner Mutter geführt wurde. Alles fest gebannt auf K40. Es war ein Schock. - Als wäre ich die Erfindung eines anderen. Als wäre ich nicht Subjekt, sondern ein fiktionaler Charakter. Meine frühsten Erinnerungen, Basis meiner Identität, sind ein acht Millimeter breiter und knapp einen halben Millimeter dünner Streifen auf einer Amateurfilmrolle. Meine frühe Kindheit ist kodakfarben.

Professor Dr. Hans Irtel: Beim Gedächtnis unterscheiden wir zwischen semantischem und bildhaftem Gedächtnis. Im semantischen sind gewissermaßen die Sachverhalte abgespeichert. Die sind, was passiert ist, wie alt ich bin, wie ich heiße. Also alles Sachverhalte, die ich gewissermaßen in Sätzen ausdrücken kann. [...] Wenn ich ein Wort höre, wird das semantische Gedächtnis aktiviert und alle Begriffe, die mit diesem Wort zu tun haben. Daneben unterscheiden wir das bildhafte Gedächtnis, in dem wir Bilder abspeichern. Natürlich werden solche Bilder auch verarbeitet bis zu einem gewissen Grad und aus diesen Bildern kann semantische Information entnommen werden. Aber wir können auch sehr gut bildhafte Infos abspeichern. Denken Sie nur an Gesichter, [...]. Wir können eine Person, die wir nur einmal aus einem bestimmten Winkel gesehen haben, lange Zeit später wieder erkennen, auch wenn wir sie nicht in der gleichen Position wieder sehen. Bei diesem bildhaften Gedächtnis, das ist noch nicht ganz geklärt, aber man kann wohl davon ausgehen, dass dieser Speicher des Gehirns unbeschränkt ist. Wir sind uns heute nicht ganz sicher, ob man überhaupt etwas vergessen kann, was mal im Langzeitgedächtnis abgespeichert war. Es gibt viel, was dafür spricht, dass Information aus dem Langzeitgedächtnis nicht vergessen, sondern nur unzugänglich wird. Überlagert durch Assoziationen mit anderen Teilen des Gedächtnisses. Was bei Farben besonders ist, ist dass Farben immer eine bestimmte Stimmung vermitteln, dass diese Stimmungen wiederkommen können. Wenn ich dieses Bild sehe, kann ich diese Stimmungen nacherleben. Wir benutzen das im Labor, um Stimmungen zu erzeugen.

Sprecherin 01: Dr. Hans Irtel ist Professor für allgemeine Psychologie an der Universität Mannheim. Sein Hauptforschungsgebiet sind Fragen der Wahrnehmung allgemein und die der Farbwahrnehmung im Besonderen. Unter anderem forscht er über Farbkonstanz, wie der Mensch unabhängig von der Beleuchtung Farben wahrnehmen kann und über die emotionale Wirkung von Farben. Ein Ergebnis seiner Forschung ist, dass intensive, knallige Farben einen höheren Grad an Erregung – negativ wie positiv - erzeugen als pastellene. Und: kalte Farben werden in der Regel als unangenehm empfunden

Professor Dr. Hans Irtel: [...] Wenn man im Vergleich dazu ein Bild nimmt, dass Beruhigung und angenehme Atmosphäre erzeugt, dann ist dieses Bild wärmer in den Farben, eher dunkler, gelblicher, dunklere Farben erzeugen mehr Beruhigung, gelb ist eine Farbe, die angenehm ist, warm wirkt. Also diese Unterstützung der Semantik eines Bildes durch die Farbe kann man schon erreichen, indem man die emotionalen Aspekte einer Farbe nimmt [...].Wenn man als ]Filmhersteller[ die Wahl hat, einen Bias in Richtung Gelb oder einen in Richtung Blau zu machen, dann nimmt man lieber den in Richtung Gelb, der wirkt angenehmer. Deshalb waren andere Filme auch nicht so beliebt, mit ihrem Blaustich. Die waren billiger, aber jeder hat gesagt, Kodak ist besser. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Farben da kräftiger ausgesehen haben und ein angenehmeres Licht hatten. [...]

Sprecher 02: Doch wie gelangt das K40-Super-8-Bild mit dem strahlendgelben Wäschekorb, dem kodakblauen Himmel und den fast schon transzendenten Birnbaum in das Privatgedächtnis?

Professor Dr. Hans Irtel: [...] Wir wissen, dass in unserer Erinnerung, wenn wir über Sachen berichten sollen, sehr häufig Lücken durch Vorurteile ausgefüllt werden. Das wissen wir auch aus Untersuchungen und Frageprotokollen, wo häufig klar ist, dass Erinnerungslücken durch Erwartungen gefüllt werden. Durch einen allgemeinen Sachverhalt werden Erwartungen generiert und wenn jetzt Lücken da sind, die werden ausgefüllt mit Weltvorstellungen, die wir haben. Ohne, dass der Person das bewusst ist, das setzt keine bewusste Manipulation voraus. Die Personen sind dann im Nachhinein überzeugt, das war so. Das ist eine Sache, die vermutlich damit zusammenhängt, dass wir als Menschen immer versuchen, ein schlüssiges Weltbild zu haben. Wir wollen keine Unsicherheit über Ereignisse in der Welt haben, über Ursache und Wirkung. Schlüssig ist etwas dann, wenn es in unser Weltbild passt.

Sprecherin 01: Und dieses Weltbild wird auch geprägt von Fotos und Filmen, die zum einen die Lücken in unserer Erinnerung schließen und zum anderen gut in unser Weltbild passen, da sie meist angenehme Situationen zeigen. Da wir uns anscheinend lieber an Angenehmes als an Unangenehmes erinnern.

Professor Dr. Hans Irtel: [...] Ich glaube, dass viele unserer Kindheitserinnerungen in Wirklichkeit Erinnerungen an Fotos und Filme aus unserer Kindheit sind. Denn ich denke, dass bei den meisten Menschen Erinnerungen aus ihrer frühen Kindheit zwar für einzelne Ereignisse da sind, aber doch sehr punktuell. Dinge, die damals nicht sehr bedeutsam waren und nicht so große Verarbeitung erzeugt haben, werden nicht so gut erinnert, sie sind nicht so gut abgespeichert. Das, was wir in den Fotos sehen, ist gefärbt, die Fotos die wir tatsächlich benutzen, um über unsere Kindheit zu lernen.

Sprecherin 01: Der K40 hat das Gedächtnis von Millionen geprägt. Mit seinen einzigartigen warmen, kräftigen Farben. Weihnachtsfeste, Hochzeiten, Einschulungen und Geburtstage wurden in den leuchtenden Farben des K40 auf Film gebannt und dem Strom der Zeit entrissen. 1980 verspulten alleine die Deutschen über 20 Millionen Kassetten. Das sind über 300 Millionen Meter, oder 300.000 Kilometer oder einmal von hier bis zum Mond. Oder 121.500 Quadratmeter, beziehungsweise über 121 Quadratkilometer. Damit könnte man die gesamte Landfläche bedecken, auf der San Francisco steht. Hochgerechnet auf die 41 Jahre, in denen der Film hergestellt wurde, sind das ein paar Millionen Kilometer kollektiver Erinnerung an die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Obwohl es auch andere Firmen gab, die Super-8-Filme anboten, der K40 galt als Super-8 schlechthin. Super-8 formte Biografien, prägte Erinnerungen und - hinterließ Spuren auch in der Literatur – wie in Andreas Schendels Roman „Leuchtspur“.

Sprecher 03: Mein Vater filmte alles, in den ersten Jahren, auf Super-8. Ich besitze so auf zahllosen Metern versiegelt, nicht wenige Wochen meiner Kindheit. Meist Bilder von meiner Mutter und mir, nur selten ist verwackelt auch mein Vater zu sehen. Einige der Filme zeigen Orte, die mir unbekannt sind, Urlaubsorte, die wir wohl nur ein einziges Mal besuchten. Auch dort, meine Mutter mit Kind. Und doch erinnere ich mich nicht, dabei gewesen zu sein. Überhaupt der kleine Junge auf der Leinwand ist mir, meist, ein Fremder. [...] Jene Super-8-Filme sind das Archiv meiner frühen Kindheit. Später wurde die Kamera [...] durch eine Videokamera ersetzt. Die damit gemachten Aufnahmen bedeuteten mir nichts. Es war nicht mehr das gleiche. Meine Kindheit war stumm, ratternd und fehlerhaft und ihr Heraufbeschwören auf der ausrollbaren Leinwand feierlich. Der Federmechanismus, der die Leinwand unten in einer metallenen Rolle zusammenhielt, schnappte immer wieder mit einem Knall zurück, der Dreifuß, auf dem das Ganze stand, zerkratzte meiner Mutter das Parkett. Die ausgeleierten Gelenke bürgten dafür, dass die Leinwand nie still oder im rechten Winkel zum Projektor stand. Es verzerrte die Bilder zur Seite hin und ergab optisch einen besonderen Reiz. Ich liebte diese Abende, ja, ich sehnte sie herbei. Das ganze Ritual, das Aufstellen der Leinwand, das Ausklappen des Fußes, unmöglich, sich dabei nicht die Finger zu klemmen, das Aufbauen des Projektors, dessen Arme man ausklappte, um dann vorn die Rolle mit dem Film, hinten die leere Auffangrolle zu montieren. All das waren Momente von seltener Schönheit. Mein Vater war in seinem Element und ich bewunderte ihn. Es waren Momente, die ich gern erinnere, Abende der Unordnung, die selten, vielleicht einmal im Jahr zum Rückblick auf Oster-, Sommer-, Herbst- und Winterurlaub abgehalten wurden. Mein Vater pflegte dafür die Urlaube eines Jahres auf einer großen Rolle zusammenzuschneiden, und ich höre heute noch das Geräusch, mit dem die kleine Schneidevorrichtung die Schnittenden aufraut und rieche heute noch den Kleber, der vier Jahreszeiten zu einem einzigen Urlaub verband. Ich sehe ihn gebeugt und konzentriert am Wohnzimmertisch sitzen. Vor ihm der kleine Schneidetisch und das Fläschchen mit dem Kleber. Neben ihm ein Tablett mit einem Deckchen, einem Glas Bier und einem Teller mit belegten Broten. Mein Vater schaut zu mir auf und lächelt. Am eindrücklichsten aber ist in meiner Erinnerung das Geräusch geblieben, mit dem die hintere Rolle den Film fing. „Licht aus!“ rief mein Vater dann, und meine Mutter, die am Lichtschalter bereitstand, schaltete. Durch das Dunkel flackerten die ersten farbigen Flecken auf den unteren Teil der Leinwand. „Das Buch!“ rief mein Vater, und ich, der ihm mit dem Bertelsmann Volkslexikon zur Seite stand, legte es vorne vorsichtig unter den Projektor. Nun, während mein Urlaubs-Ich noch als farbiger Fleck in einem atemberaubenden Tempo auf einem hellgelben Hintergrund Haken schlug, ein Osterurlaub, drehte mein Vater mit rechts an der Linse und mit links an dem Rädchen für die Geschwindigkeit, bis ich, erkennbar, als der, der ich war, nicht zu schnell, nicht zu langsam, und gestochen scharf, in Holland an der See, am Strand entlanglief. Das waren Momente größten Glücks. [...] Die Videoabende gaben mir nichts. Mein Vater steckte ein Kabel von der Kamera in die Antennenbuchse des Fernsehers, es wurde nicht einmal das Licht ausgemacht. Die Technik gehorchte und schien eigentlich durch sich selbst beherrscht. Das war nichts, meine Bewunderung schwand, jeder Idiot hätte das gekonnt. Und auch der Junge auf dem Film war nicht mehr der Fremde, das war ich, und dieses Ich war uninteressant. Es ratterte nicht einmal. Ja, vor allem die Stimmen, sich hören zu müssen – es war unerträglich. Der Ton zerstörte die Bilder, das war Alltag. Ich ich selbst, mit der Stimme eines Fremden, es war peinlich.

Sprecherin 01: Hinter der Milchglasschleuse in der Avenue de Longmalle Nummer eins ist ein großer Empfangsraum. Links an der Wand stehen Regale, in denen Kodak Digitalkameras ausgestellt sind, Boten einer neuen Ära, die die alte analoge Filmtechnik abgelöst hat. Vor den Regalen ein Tisch und ein paar Stühle. Der Raum wirkt ausgeräumt, wie vor einem Umzug, wenn schon alles eingepackt ist. Und nur das Allernotwendigste noch im Zimmer steht –und das, was zum Wegwerfen bestimmt ist oder in der Hektik vergessen wurde. Gegenüber die Rezeption.

Sprecherin 01: Hinter der Theke sitzt Monika Kalista. Seit über einer Woche steht ihr Telefon nicht mehr still.

Monika Kalista: „Société Kodak“

Sprecher 02: Guten Tag

Monika Kalista: „Guten Tag“

Sprecher 02: Ich wollte mich erkundigen wegen des K40. Kann man den noch zu Ihnen schicken und entwickeln lassen?

Monika Kalista: „ Am Montag war das letzte Entwicklungsdatum. Das Labor ist jetzt geschlossen. Es gibt kein Labor mehr.“

Sprecher 02: Kann ich den K40 jetzt überhaupt nicht mehr entwickeln lassen?

Monika Kalista: „Sie können den direkt nach Amerika schicken. Das können Sie noch. Aber dann müssen Sie noch mal die Entwicklung bezahlen.“

Sprecher 02: Und woher bekomme ich die Adresse?

Monika Kalista: „Haben Sie vielleicht einen Internetanschluss?“

Sprecher 02: Ja.

Monika Kalista: „Ja?“

Sprecher 02: Ja!

Monika Kalista: „ [...] www.k14movies.com.“

Sprecher 02: Ok. Und das Labor ist jetzt ganz zu? Da passiert jetzt gar nichts mehr?

Monika Kalista: „In der Schweiz ist jetzt alles zu. Es passiert nichts mehr Es wird nichts mehr entwickelt.“

Sprecher 02: Na, dann Danke für die Auskunft.

Monika Kalista: „Bitte. [...] Wiederhören. Dankeschön.“ Tutututut [wird übergeblendet in Musik 04]

Sprecherin 01: Seit Mitte der Achtziger Jahre bröckeln die Verkaufszahlen des K40. Angeblich Jahr für Jahr um 15 Prozent. Video ist einfach preiswerter und schneller. Mehr Material für weniger Geld. Die 15-Meterrollen in den schwarzen Kodakdosen reichten nur für drei Minuten Film. Dennoch: Als Kodak England vor über einem Jahr – versteckt in einer Jubiläumsmeldung zum 40sten des Super8-Films - bekannt gab, dass der K40 eingestellt wird, gab es weltweit einen Sturm der Entrüstung. In Deutschland organisierte die Zeitschrift "Schmalfilm" einen Teil des Widerstands. Das Fachblatt richtet sich in erster Linie an den ambitionierten Amateurfilmer, wird aber auch von manchem Profi gelesen. Im schicken Hamburger Stadtteil Winterhude hat Jürgen Lossau, Chefredakteur von Schmalfilm, in einer kleinen Bürgervilla seine Fernsehproduktionsfirma.

Sprecherin 01: Sein Büro liegt im Erdgeschoss in einem hallenartigen, stuckverzierten Raum mit Blick in den gepflegt verwilderten Garten. Vitrinen, in denen alte Schmalfilmkameras und alte Filmmaterialien liegen, schaffen museale Atmosphäre.

Jürgen Lossau: „Wir haben alle Waffen eingesetzt, die wir hatten, um den Kodachrome 40 am Leben zu erhalten. Es hat von Amerika aus eine große Internetpetition gegeben, die insgesamt 6000 Leute unterzeichnet haben. Die Redaktion Schmalfilm hat eine eigene Petition ins Leben gerufen, die auch von mehreren tausend Leuten unterzeichnet worden ist. Das Problem ist einfach, wenn die Menge des verbrauchten Materials so gering wird, wie sie inzwischen geworden ist, das sind unter 100.000 Kassetten weltweit, dann lohnt sich bei einer solchen Technik, die dem Film zu Grunde liegt, das Beibehalten einer Entwicklungsanlage nicht mehr. Die muss schon, um vernünftig arbeiten zu können, 400 bis 500.000 Filme pro Jahr haben, die da durchgehen.“

Sprecherin 01: Die Unterschriftenaktion gegen die Entscheidung Kodaks, den K40 einzustellen, haben auch viele prominente Filmschaffende unterzeichnet. Über 1.500 Freunde des K40 protestierten schriftlich, darunter so bekannte Regisseure wie Hans Weingartner, dessen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ Kultstatus genießt, oder die Schauspielerin Franka Potente, die jetzt bei ihrem Debut als Regisseurin komplett mit Super-8 gedreht hat. „Der die Tollkirsche ausgräbt“ heißt der Film, der Ende November in die Kinos kommt.

Franka Potente: „Es gibt so Filme von der Hochzeit meiner Eltern auf Super-8. Ich erinnere mich auch an das Geräusch, wenn bei Familienfeiern jemand mitgefilmt hat [...]“

Sprecherin 01: Franka Potente wird wehmütig, wenn sie daran denkt, dass mit Kodachrome 40 nun Schluss ist.

Franka Potente: „ [...] Es ist einfach eine bestimmte Ästhetik, die dem Film verloren geht. Ich weiß nicht die Hintergründe, vielleicht pleite oder es lohnt sich nicht mehr. Aber es ist richtig, richtig schade, weil das eine so schöne [Ästhetik] ist. [...] Außerdem [...] ist es ein Stück Erinnerung. Das ist ja in den Wohnzimmern an die Wand geworfen worden und wirklich schade.“

Sprecherin 01: Und ihr Kameramann Frank Griebe, der gerade unter der Regie von Tom Tykwer „Das Parfüm“ gedreht hat:

Frank Griebe: „Das ist wie für einen Maler, der jetzt nicht mehr alle Farben zur Verfügung hat, sondern [so ein bisschen] eine Einschränkung bekommt. Er hat nicht mehr die große Palette, die Vielfalt, die da ist, um einen Film zu gestalten. Er kann nur bestimmte Farben benutzen und das ist schade.“

O-Ton 18:
Robert Van Ackeren: „Die Einstellung des Kodachrome 40 berührt mich [...], denn damit geht unwiderruflich eine Ära zu Ende. [...] es berührt mich, weil hiermit das Kapitel des Privatkinos, das mit Kodachrome 40 maßgeblich verbunden ist, zu Ende geht und zwar unwiederbringlich. Diese Art des Amateurfilms wird uns [..] verloren gehen. Denn anders als bei professionellen Filmen gibt es für diese Privatfilme keine professionellen Filmarchive, die sich um das Sammeln und die Archivierung dieser Art des Volkskinos kümmern und gekümmert haben.“

Sprecherin 01: sagt der Filmemacher Robert Van Ackeren, der 1980 Deutschland privat mit großem Erfolg weltweit ins Kino brachte. Deutschland privat ist eine Sammlung von Super-8-Amateurfilmen, die für die große Leinwand auf einen 35 Millimeterfilm kopiert worden sind. Am radikalsten äußert sich aber der Regisseur Dominik Graf, der in seinem Film „Der rote Kakadu“ Teile auf Super-8 drehen ließ.

Dominik Graf: „Wenn einem das Mittel entzogen wird, müsste man sich eigentlich mit Waffengewalt zur Wehr setzen.“

Sprecher 02: An diesem letzten Montag im September bleibt jedoch alles ruhig in Renens. Keine bewaffneten Schmalfilmenthusiasten besetzen das Kodakgebäude und zwingen die Belegschaft weiter zu entwickeln. Lediglich eine Lokaljournalistin von einer Zeitung in Lausanne ist zur Beerdigung gekommen und interessiert sich für das komplizierte Entwicklungsverfahren des K40.

Sprecherin 01: Durch insgesamt 14 verschiedene Bäder musste der K40, bis er als fertiger Farbpositivfilm am Ende des komplizierten Verfahrens auf eine kleine schwarze Rolle gespult und zurückgeschickt wurde an die Heimregisseure. Was den K40 so unvergleichlich macht, ist eben dieser schwierige Entwicklungsprozess. Denn anders als bei anderen Filmtypen besteht der K40 aus drei übereinander gelagerten, hauchdünnen Schwarzweißfilmen. Jede Schicht ist nur 0,135 Millimeter dick. Das macht die unübertroffene Schärfe des K40 aus. Bunt wird der Film während der Entwicklung. Dann erst werden die Farbstoffe für jede Schicht hinzu gegeben, im Fachjargon heißen sie Farbkuppler. Bei anderen Filmtypen lagern die drei Grundfarben bereits in den Schichten und werden durch den Entwicklungsprozess aktiviert, der in der Regel unaufwendiger ist als das K40-Verfahren. Temperatur und Zeiten müssen während der Entwicklung des K40 in den 14 Bädern genau passen, sonst greift der Prozess auch benachbarte Schichten an und es kommt zu „falschen“ Farben. Auf dem Weg durch die Bäder wird der Film in einem komplizierten Verfahren nachbelichtet – in der so genannten „Umkehrbelichtung“. Dieses Verfahren funktionierte seit über 65 Jahren und war damit das älteste existierende, um farbige Bilder herzustellen. Und das nachhaltigste. Denn der K40 steht im Ruf besonders haltbar zu sein. Während die Konkurrenz schon längst verblasst ist, oder die Bilder sich in blaue oder grüne Farbschleier verabschieden, strahlt der K40 in seinen warmen Farben wie am ersten Tag.

Benedikt Neuenfels: „ Ästhetisch gesehen gehen alle Druckverfahren weg. Alle Verfahren, wo ich Luft spüre. Das war ein Material, wo noch die Luft dazwischen zu spüren war. Das hast du ja im elektronischen Film nicht mehr. Da die Luft herzustellen, ist ein unglaubliches Unterfangen. Das ist viel aseptischer. Und das geht natürlich verloren. Eine wunderschöne Patina und Farbsäume. Farbverbindungen, die mit orange, blau, grün, magenta zu tun haben. Die zum einen etwas wertvoll wirken lassen und trotzdem so was Hingerotztes haben. Diese Dialektik finde ich immer gut ...“

Sprecherin 01: Benedikt Neuenfels, der die Kamera bei Domink Grafs letztem Film, der Ostalgie-Liebesgeschichte „Der rote Kakadu“, führte, ist nicht nur traurig über die Einstellung des K40.

Benedikt Neuenfels: „Umwelttechnisch gesehen [... ] können wir froh sein, dass es ihn nicht mehr gibt, in Bezug auf die Umweltverträglichkeit. Denn das ist einfach grauenhaft. Das geht nicht mehr, das ist antiquiert. Von der ästhetischen Seite ist es sehr schade. Jetzt nicht explizit für mich, außer dass ich dieses Jahr schon wieder ein Projekt hatte, bei dem ich gerne darauf arbeiten würde. Aber meine Güte, was soll man tun? Es ist ein Verlust. Aber was soll’s. Das gibt es ein paar Jahrzehnte, dann ist es vorbei. Das ist schade, aber es sprechen leider zu viele Komponenten dagegen.“

Sprecher 03: „Schau doch“, sie schüttelte den Kopf, „der Kleine da ... das bist du. Der Mund und die Augen ... das sieht man ganz genau. Das ist echt süß. Das ist irgendwie ...“, sie zögerte, „von mir ...“ Das ungläubige Lächeln verschwand langsam von ihren Lippen, „von mir gibt es keine Filme.“ Wer war ich? Es war, als ließen mich die Bilder hier im Stich. Die Spule, die die Nummer eins und neben einem Schrägstrich das Jahr meiner Geburt trug, begann mit Aufnahmen vom Tag meiner Taufe. Immer wieder meine Mutter, jung und in Großaufnahme, lächelnd und angestrengt in einem sonntäglichen Kreis, ein weißgedeckter Tisch voller Unbekannter, bei Kaffe und Kuchen. Ein Schwenk auf das Sofa, ein kleiner Kopf mit wirrem schwarzem Haar, zitternde Fäustchen in einem weißen Strampelanzug. Die Zeit davor lag im Dunkel. [-]

Sprecher 03: Wir hatten es gemacht, zum ersten Mal in meinem Bett. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie nannte es „mein kleiner Tod“. Sie flüsterte, in Frankreich würde man es so nennen. Ich fragte, woher sie das wusste? Sie lachte, sie war außer Atem, „... aus einem Buch ... Du Dummkopf ...“ Ich sackte neben ihr zusammen, die Matratze war schweißnaß. Ich schloß die Augen. Im Moment des Todes sagt man, liefe noch einmal das ganze Leben vor einem ab, wie ein Film, im Bruchteil eines Augenblicks. Und wenn man einem Sterbenden in die Augen schaute? Was würde man davon sehen? Ich spürte ihren Körper warm und schlaff neben meinem. Ihr kleiner Tod, ich stellte mir vor, wünschte, ich hätte ihn in ihren Augen einmal sehen können, nur um mehr, wenige Bilder vielleicht, von ihr zu erfahren. Nach einer Weile stand sie auf und zog sich an. Sie sagte, sie würde gern noch einen der Filme sehen. [...]

Sprecher 02: Andreas Schendels Debütroman „Leuchtspur“ bündelt die Jugend seines Protagonisten durch die Linse eines Projektors auf einen intensiven Moment hin. In wackeligen Super-8-Bildern zieht eine Kindheit vorbei. Die Bilder konservieren nicht nur Urlaube und Familienfeste, sondern vielmehr die Gefühle und Erinnerungen der Hauptperson, die weit über das, was auf der instabilen Leinwand zu sehen ist, hinausgehen. Eine Jungsfreundschaft blitzt auf und zerbricht. Er durchlebt erneut die Geheimnisse und Schrecken seiner Kindheit. Projiziert wird das auf seine aktuelle Situation. Er ist mit einer jungen Frau zusammen. Es ist eine starke und doch zerbrechliche Liebe. Eine, an die er sein Leben lang denken wird. Die Super-8-Streifen in dem Roman sind nicht nur formaler Kunstgriff, sondern sie stehen für den Versuch, Gefühle zu bewahren, dem Fluss des Lebens wichtige Ereignisse zu entreissen. Es geht um Identität. Um den Versuch, die eigene Geschichte zu speichern und in ein rationales System zu bringen. In ein System, das sagt: Das bist du! All die Erlebnisse, Wege, Lügen, Küsse, geklauten Zigaretten, alten Männer, all die Schläge, Umarmungen sind Teil deiner Geschichte. Das bist Du. Der Held des Romans ist auf dem Weg zu seiner eigenen Identität. Die Super-8-Filme haben bei dieser Identitätssuche eine doppelte Aufgabe. Sie bewahren zum einen die Vergangenheit und gleichzeitig machen sie diese Vergangenheit anschaubar für andere. Die eigene Vergangenheit wird Teil des anderen und stiftet so – wenn es klappt - Gemeinschaft. Auf der Super-8-Rolle kann das Ich Identität sammeln und ordnen. Unangenehme, nicht ins Selbstbild passende Ereignisse werden in der Regel nicht gefilmt und wenn aus Versehen doch, dann kann man sie ganz leicht aus dem Film des Lebens mit einem Schnitt heraustrennen. So gesehen sind die Millionen Kilometer von K40 belichtet mit Utopien. Sie zeigen Familienfeste, Urlaube. Die heile, die warme, die K40-Seite der Existenz. Der Super-8-Projektor als ratternde Identitätsmaschine.

Sprecher 03: Ich legte den Film ein und stellte den Projektor auf den Nachttisch. Wie Maike es wollte, am Kopf des Bettes, sein Bild geworfen zum Fußende hin. Sie zog sich aus und löschte das Licht. Sie bat mich, den Projektor anzustellen. Über meinen Kopf hinweg flackerten verschwommen die ersten Bilder. Ich verlor jedes Zeitgefühl. Der Projektor legte das Bild der winterlichen Landschaft auf ihre Brüste, den kleinen Jungen im Schneeanzug. Das leise Rattern schluckte die Stimmen aus dem Garten. Maike blinzelte im Gegenlicht. Ich glaube, sie schaute mich an. Vor meinen Augen lösten sich die Konturen ihres Körpers, im zitternden Licht, in den schneebedeckten Hängen, in den wirbelnden Armen des Jungen auf. Ich sah das flackernde Bild eines kleinen und fröhlichen Jungen, der mir näher und, in diesem Moment, geworfen auf ihre Haut, kein Fremder mehr für mich war.“

Sprecher 02: Am Ende hat er es geschafft. Er ist bei sich. Er ist identisch mit seinem Geschichts-Super-8-Ich. Er ist erwachsen geworden – zumindest für diesen Moment.

Jürgen Lossau: „ Im Grunde genommen hat das Amateurfilmen schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts angefangen, denn schon die ersten 35mm-Kameras, die von Kodak und anderen auf den Markt gebracht worden sind, waren nicht unbedingt schon als Profikameras gedacht. [...] Als dann in den 30er Jahren 16 Millimeter immer größer wurde und dieser aufgesplittete Film, also aus 35 Millimeter wurden zwei mal 16, [...] ging das wieder so los, dass man sagte, 16 Millimeter ist eigentlich ein Hobbyformat. [...] Dann ist der Film wieder geteilt worden, aus 16 Millimeter wurden 8. Das ist [...] gemacht worden, weil man sagte, das Teure ist eigentlich das Filmmaterial und je weniger wir davon benötigen, desto mehr Leute können wir vielleicht gewinnen, die am Filmen Spaß haben. Seit 1936 8 Millimeter eingeführt worden war von Kodak, boomt das also ohne Ende und es sind immer mehr Schmalfilmer geworden. [...] Der Markt war [Ende der Fünfziger Jahre] gesättigt [...]. Man hat dann Kunden befragt, auch solche, die nicht filmten, sondern fotografierten. Wieso benutzt ihr dieses 8 Millimeter Format nicht? Und da wurde klar, es ist zu umständlich, zu kurz, der Film läuft zu schnell durch. Da ist Kodak dann auf die Idee gekommen, wir müssen den Film in eine Kassette tun, damit es einfacher ist, damit zu arbeiten. Man hat diesen 8 Millimeter breiten Film in der Breite unverändert gelassen, aber das Perforationsloch verkleinert und dadurch 30 Prozent mehr Bildfläche gewonnen, so dass das Bild selbst größer und auf der Leinwand brillanter werden konnte. Man hat den Film dann in diese Kassette gesteckt, in der die beiden Spulen koaxial nebeneinander angeordnet waren, was eigentlich eine umständliche Art ist, von der einen auf die andere Spule zu wickeln, aber nur so schaffte man es bei Kodak relativ kompakt alles in eine Kassette zu packen. Man hat dann 1965 diesen Film auf den Markt gebracht, und es war ein großer Erfolg.“

Sprecherin 01: Jürgen Lossau ist nicht nur Chefredakteur der Zeitschrift Schmalfilm, er hat auch zwei Bücher geschrieben. Eines über Schmalfilmkameras, das andere über Projektoren. Mit dem Kassettentrick schaffte es Kodak die 51 Handgriffe des Normal-8-Systems auf 16 bei Super-8 zu reduzieren.

Jürgen Lossau: „ Vorsicht Stufe!“ [Treppenatmo mit Schritten]

Sprecherin 01: Im Keller seines Hamburger Hauses lagern über 1.500 unterschiedliche Schmalfilmkameras. Insgesamt wurden 3.000 verschiedene Typen von Schmalfilmkameras hergestellt.

Jürgen Lossau: „ Kodak selbst hat die Einführung mit Kameras begleitet. Das sind die so genannten Instamatic Kameras. Kameras, bei denen nichts einzustellen war, nur auf den Knopf drücken, alles andere machte dieses Maschinchen.

Jürgen Lossau: „ Die Kameras hatten Fix-Focus-Objektive, so dass man auch keine Schärfe einstellen musste, einen ganz kleinen Zoom, so dass man gar nicht viel damit rumfummeln konnte, sondern ganz einfach Aufnahmen machen konnte. Es hat dann viele Fabrikanten von Filmkameras gegeben, die sofort umgeschwenkt sind, von der normalen 8 Millimeter auf die Super-8-Kameras [...] Und es hat eine große Steigerung gegeben im Filmverkauf, bis in die späten 70er, frühen 80er Jahre, der Höhepunkt in Deutschland lag zwischen 1978 und 1982, da sind jährlich 20 Millionen Super-8-Kassetten verkauft worden. Es gab ja noch ein paar andere Fabrikate, da war der Kodachrome 40 ja nicht der einzige, Agfa war am Markt mit etwas günstigeren Super-8-Material, Peritz war am Markt, damals war ja Photoporst noch sehr groß, die hatten eigenes Material. Photoquelle hatte eigenes Material und ein paar kleinere gab es auch noch. Aber der Kodachrome 40 war immer der Marktführer, allerdings auch immer der teuerste Super-8-Film. In den späten 80ern spielte das dann keine Rolle mehr, weil Kodak dann der einzige überhaupt noch auf dem Markt verfügbare Film war. Bis dahin aber gab es viel Konkurrenz.“

Sprecherin 01: In den Anfangsjahren waren Super-8 und K40 als Amateurmaterial verpönt und kein Profi, der ernst genommen werden wollte, nahm eine Super-8-Kamera in die Hand. So blieb Super-8 vor allem ein Medium der Hobbyregisseure, die von der Fachwelt unbemerkt auf Millionen Kilometern Film deutsche Sozialgeschichte festhielten. Oft adaptierten sie dabei bewusst oder unbewusst gängige Fernsehdramaturgien und Klischees. Oft aber auch entwickelten sie eine eigene Bildsprache zu der das grobe Korn, das Wackeln und gelegentliche Unschärfen gehörten. Es dauerte einige Zeit, bis der damals gerade entstehende Underground – Pop- und Subkultur - auf das Material und die Amateurästhetik aufmerksam wurde. Das war Ende der Sechziger Jahre. Die Undergroundfilmbewegung war wie die dialektische Kehrseite des Hobby-Amateurfilms: düster, sexuell, gewalttätig.

Sprecherin 01: Der Undergroundfilm propagierte eine Pluralisierung des Blicks. Wollte sich freimachen von der „Indoktrination Hollywoods“, des Fernsehens und der gesamten Kulturindustrie. Wollte andere Inhalte und Formen ausprobieren. Wollte extrem subjektiv sein und in diesem „Subjektivsein“, die Mechanismen ausloten, die das Subjekt in der modernen Gesellschaft bestimmen. Das Subjekt zerlegen, dekonstruieren. Also das Gegenteil von dem, was die Amateurfilmer taten, die mit ihren Filmen gerade Identität - und sei sie noch so brüchig - manifestieren wollten. Der Undergroundfilm dockte sich an den gerade erst anbrechenden philosophischen, kunst- und gesellschaftstheoretischen Diskurs über das Subjekt an:

Sprecher 03: „Das Sehen und seine Wirkungen sind untrennbar von den Möglichkeiten eines betrachtenden Subjekts, das zugleich das historische Produkt und Schauplatz bestimmter Praktiken, Techniken, Institutionen und Verfahren der Subjektivierung ist“,

Sprecherin 01: schrieb der Kunsttheoretiker Jonathan Crary. Und beschrieb damit eine Bewegung innerhalb des Underground und der Kunst, die gesellschaftlichen Bedingungen von Sehen und der Produktion von Bilderwelten offen legte. Die auch das Subjekt als Schauplatz bestimmter gesellschaftlicher Konflikte in den Fokus nahmen. Die Protagonisten kamen oft aus der Kunstszene. Zu ihnen gehörte unter anderen Andy Warhol, Valie Export und Peter Weibel, Dan Graham, John Cage. Der Österreicher Peter Tscherkassky schrieb:

Sprecher 03: „Super-8 ist ein Mikroskop, das unter die Haut der Wirklichkeit zu dringen versteht, um dort – wie kein anderes Filmformat – das Eigenleben der Bilder sichtbar zu machen. [...] Das schönste aber ist das Korn. 'Auflösung' wird die Schärfenzeichnung des filmischen Bilds genannt. Super-8 ist über solchen Firlefanz erhaben. Im kristallklaren, starken Licht einer Xenon-Projektion kann man Zeuge einer Auflösung ganz anderer Art werden, wenn nämlich die Formen sich zurück ins Korn zu verlieren beginnen und aus amorph scheinenden Körperknäueln unvermutet ganz andere, neue Formen auftauchen, nur um sich ebenfalls in der bunten Ursuppe zu verlieren. Super 8 ist der Pointilismus, Impressionismus und abstrakte Expressionismus der Kinematografie."

Sprecherin 01: Die Vielfalt und Formen der Filme, die zu jener Zeit entstanden sind so unterschiedlich, dass es kaum möglich ist den typischen Super-8-Underground- oder Kunstfilm zu beschreiben. Sie reichen vom surrealen Porno bis zur abstrakten Performance-Illustration. Es war die Zeit der Experimente und Tabubrüche. Der subversiven Arbeit mit dem Material der Kulturindustrie oft auf dem preiswerten Super-8-Material, das aussah wie der kleine, schmutzige Bruder des großen Kinos.

Sprecherin 01: 1980 war ein ganz besondertes Jahr für Kodachrome 40 und den Super-8-Film. Über sieben Millionen Super-8-Vorführgeräte surrten in jenem Jahr in deutschen Wohnzimmern. Der Umsatz bei Kodak schoss Dank des K40 in die Höhe. Und der deutsche Regisseur Robert Van Ackeren landete mit „Deutschland privat“ einen Coup im großen Kino und rückte den Amateur-Super-8-Film in Kunstnähe.

Sprecher 02: Eine junge Frau – „Tochter Susanne“ - tanzt durch ein Lavendelfeld – jedenfalls knallen die Blumen blau aus dem Bild – Susanne singt einen Schlager von Vicky Leandros – Playback. Zoom, charmant verwackelt. Sie strahlt glücklich in die Kamera. Sie sammelt Blumen. Es ist eine farbige, eine heile Welt, durch die Susanne tanzt.

Sprecher 02: Roland S. steht vor seinem Badezimmerspiegel. Es ist Spätnachmittag. Roland S. ist gerade aufgestanden. Die Farben sind gar nicht brillant, passen aber hervorragend zu Rolands Gesicht, das von dicken, dunklen Augenringen überschattet wird. Über die Badezimmerfliesen schweben bunte Lichtreflexe.

Sprecher 02: Roland S. sitzt an einem Tisch. Vor ihm zwei Frikadellen und eine Tasse Kaffee. Frühstück, Mittag und Abendbrot in einem. Er nimmt die eine Frikadelle und beißt ein Stück ab. Das Korn des Films ist grob und grisselt über die graue Atmosphäre und Rolands Leben.

Sprecherin 01: Der Film von Roland S. mit dem Titel „Morgen“ ist einer der wenigen auf der Deutschland-privat-Rolle, die düsterer sind. Die meisten Streifen sind farbenfroh, zeigen Urlaube, Hochzeiten, Geburtstage oder Weihnachtsfeste. Sie zeichnen das Bild der idealen deutschen Familie, des idealen deutschen Urlaubs oder des idealen Weihnachtsfestes.

Robert Van Ackeren: Der Privatfilm ist ja ein Privatkino der Höhepunkte. Der besonderen Anlässe, der Feste, der Feierlichkeiten. Das heißt, der Amateur legt für sich fest, was filmenswert ist, und was unwert ist, gefilmt zu werden. Das ist letztlich eine Realitätsverdichtung auf die Höhepunkte. Das hat durch die Art der Auswahl und was sich damit verbindet, eine hohe Aussagekraft. Das macht die Filme für mich [umso] spannend[er]. Weil sie unmittelbar ein wertender Ausdruck der Amateure sind, was sie für filmenswert halten und was für unwert. [...] Während der 8mm-Film in Kino der Höhepunkt ist, ist das private Videokino, da die Mehrzahl der Lebensläufe undramatisch verläuft und alles abgefilmt wird, sind die Filme auch entsprechend undramatisch. Während ich in den 8mm-Filmen des Heimkinos eine persönliche Dramatik rausspüre, die mich stark fasziniert. [...] Was ich bei der Beschäftigung mit dem Privatkino ]auch[ festgestellt habe, und was mich besonders interessiert, sind [ja auch] diese Zwischenvalenzen, was [man was] das Bild unmittelbar und oberflächlich zeigt, ]was man[ durch diese Filme vermittelt bekommt. Und da ist es eben so, dass die Filme oft die heimlichen Wünsche und Sehnsüchte mittransportieren, die nicht in dieser Form realisiert sind, aber die durch jedes Perforationsloch scheinen.

Sprecherin 01: ... sagt Robert Van Ackeren

Sprecher 02: Weihnachten. Mutter packt die Geschenke ein. Ein paar Bilder weiter werden sie wieder ausgepackt. Vater Heinz macht sich am Weihnachtsbaum zu schaffen und verteilt Kugeln und Lametta mehr oder weniger gleichmäßig über die knallig grünen Tannenzweige. Bunte Legosteine. Spielende Kinder. Mutter schuftet in der Küche. Ein Lächeln für die Kamera. Kekse, Kerzen. Schließlich tranchiert Vater Heinz die Gans. Draussen vor der Tür, das sieht man nicht – das verrät nur der Titel des Films - , ist das Jahr 1968. Demonstrierende Studenten, Sprechchöre, Wasserwerfer, Polizeiknüppel.

Sprecherin 01: Auf der Oberfläche transportiert der Film die Inszenierung von Familienglück, Harmonie, Heiligabend. Die Farben sind satt, die Menschen lächeln. Doch die Bilder sind ambivalent. Die Wirklichkeit unter der Inszenierung scheint durch. Der Schmalfilmer Heinz zeigt seine Wunschwelt. Aber die Wirklichkeit – die gestresste Hausfrau, die desinteressierten Kinder, die enge Wohnung – strahlt durch jedes Perforationsloch. Und genau das macht den Reiz dieser Filme aus. Die Filme wirken in ihrer Inszeniertheit authentischer als die meisten Dokumentarfilm aus jener Zeit.

Robert Van Ackeren: Man kann [sogar eher] sagen, dass der Amateurfilm ein Unter- und Mittelschichtenformat ist. Wenn wir das jetzt in so eine Terminologie bringen. In den Oberschichten wird selten gefilmt. Da ist das Bedürfnis, wertvolle Ereignisse festzuhalten, offenbar nicht so ausgeprägt oder nicht so schicklich. Die Anzahl der Filme ist da wesentlich geringer, wenn man das statistisch sieht.

Sprecher 02: Die Protagonisten in Deutschland privat gehören offensichtlich nicht der Oberschicht an. Deshalb hat Van Ackeren das Ganze auch mit dem Untertitel Volksfilm versehen.

Robert Van Ackeren: Die Bereitschaft, die Filme in das Projekt einzubringen, war enorm. Sicher spielt hier noch eine Rolle, dass sehr private Erinnerungen durch den Akt der Veröffentlichung eine andere Bedeutung bekommen. Das eigene Leben bekommt eine andere Bedeutung. Egal wie man dazu steht, egal ob es in der Rezeption positiv oder negativ aufgenommen wird, es bekommt eine Bedeutung. Und an dieser Bedeutung war die überwiegende Anzahl der Filmemacher sehr interessiert.

Sprecherin 01: Vielleicht erklärt das auch die schichtspezifische Nutzung des Super-8-Materials. Die Oberschicht braucht kein Super-8, um sich ihrer Bedeutung zu versichern.

Sprecherin 01: Beim Sichten des Materials fiel Robert Van Ackeren auf, dass die Filme unterschiedliche Farbigkeiten und Texturen haben. Wie nicht anders zu erwarten, stammten viele der Streifen aus den Kodak Labors.

Robert Van Ackeren: Kein anderer Hersteller reicht an diese superbe Qualität heran. Qualität im umfassenden Sinne, die Filme hatten hervorragende Schärfe, Kontrast und Farbverhalten. Sie hatten eine sehr gute Farbtiefe und eine große Besonderheit dieser Filme war, dass die Charakteristik der Farben eine Art Leuchtkraft entfaltete, die im eigentlichen Sinne das Erlebnis ästhetisch flankierend veredelt hat. Durch diese Strahlkraft der Farben – die hatten eine Intensität, die deutlich über der realen Farbe lag und damit auch so eine gewisse Buntheit. Das hat den Leuten gefallen, das macht auch den Charakter dieser Filme aus [...] Der Kodakfilm hatte sehr warme Farben mit einer sehr starken Rotbetonung, die ja immer als angenehm empfunden wird. Gegenüber dem Fuji, der eher eine kühlere, zum grünlichen tendierende Färbung hatte, [...] Was man nicht feststellen kann, [...] ]einen Zusammenhang[ [...] zwischen gefilmten Ereignis und dem Einsatz des Materials. Ob das jetzt ein wertvoller Moment ist, wo man eine größere Investition in den Kauf des Materials macht, solche Beobachtungen kann man nicht treffen [...] Wer es sich leisten konnte, hat versucht, immer auf Kodak zu drehen. Wer mehr auf das Geld achten musste, hat die anderen Formate benutzt.

Sprecher 02: Ein deutsches Wohnzimmer – irgendwann Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger. Ein Sofa. Ein Couchtisch. Darauf Knabberzeug, Luftschlangen, Sekt. Ein Mann geht zum Wohnzimmerschrank, holt noch mehr Papierschlangen. Eine Frau. Sie ist nackt. Wahrscheinlich seine Frau. Er nimmt die Papierschlangen und wickelt sie damit ein.

Sprecherin 01: Es könnte sich bei dem kurzen Film auch um eine Kunstperformance handeln.

Sprecher 02: Es ist Silvester. Der Mann berührt die Frau. Ihre Brüste. Er wühlt sich durch die Papierschlangen, packt sie aus wie ein Weihnachtsgeschenk. Schließlich schläft er mit ihr.

Robert Van Ackeren: „Deutschland privat“ besteht ja aus zwei Teilen, einen der das Private umreißt, und einen, den ich damals „Heimliches Deutschland“ genannt habe, der eigentlich den erotischen und pornographischen Sektor beschreibt. Was für mich beim Sammeln sehr überraschend war, war die Bereitschaft einer großen Zahl von Amateuren, diese Intimaufnahmen uns für eine Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. [...] Es stellte sich dann auch bei den näheren Untersuchungen heraus, dass dies mit dem Realitätsverständnis der Amateure zu tun hat. Für die hört die Wirklichkeit nicht an der Schlafzimmertür auf. [...] Wobei eine Sache [...] für mich besonders interessant war, dass die Amateure natürlich auch versuchen, flüchtige Momente, die für sie eine Bedeutung haben, festzuhalten. Ich habe immer den Eindruck, erst wenn das Ganze gefilmt ist, ist es auch wirklich passiert. Das findet jetzt bei diesen Sex- und Erotikaufnahmen so eine Verlängerung. Der erotische Akt, die Kamera ist so ein Bestandteil, da wird mit der Kamera interagiert, die Kamera ist der Dritte im Bunde. Das ganze wird verlängert, weil die Paare später das, was sie produziert haben, also ihren Sex, dann auch gemeinsam ansehen und dabei das Erlebnis eine Erweiterung erfährt.

Sprecherin 01: Deutschland privat - Der Volksfilm lief nicht nur ungeheuer erfolgreich im Kino. Er beeinflußte auch die zeitgenössische Kunst.

Robert Van Ackeren: Nachdem ich das Projekt „Deutschland privat“ herausgebracht habe, hat sich natürlich in der Kunstszene sofort – weil die Sachen haben natürlich [...] etwas Trashiges – [...] nicht nur in der Punkbewegung sondern in der Kunstszene insgesamt so ein starkes Interesse herausgebildet. Und zwar, dass das, was man in diesen Filmen sieht und auf der einen Seite als schrill und grell goutiert, für sich selbst benutzt und gewissermaßen zitathaft einsetzt. In den eigenen Werken.

Sprecher 02: Eine Kneipe – anscheinend – das Korn ist grob. Der Film hat Kratzer. Staubflusen wischen über das Bild. Eine junge Frau kommt ins Bild, öffnet eine Tür. Männer mit Papiertüten über den Kopf tanzen in den Raum und zum Stammtisch. Die junge Frau bringt Schnaps. Die Papiertüten trinken.

Wolfgang Müller: Als wir [...] die Gruppe gegründet haben, haben wir gesagt, wir machen die klassische Besetzung. Schlagzeug, Gitarre und Gesang. Also nicht was besonderes wie einstürzende Neubauten, mit denen wir ja damals ziemlich nah waren, jetzt komische, eigenartige oder selbst gebaute Instrumente. Wir nehmen immer das Gewöhnlichste, Normalste und was vom Material her am konventionellsten ist. Und Super-8 hat eine unheimliche Konventionalität gehabt. Das heißt, man hat einen Film drehen können mit Super-8 und der ist schon deshalb von bestimmten Leuten nicht ernst genommen worden, weil es Super-8 ist. Wenn wir das auf Video gemacht hätten, wäre das erstmal unter dem Gesichtswinkel betrachtet worden: könnte das Kunst sein. Bei Super-8 konnte man aber ganz ungehemmt Filme drehen und keiner kam auf die Idee, das könnte große Kunst sein.

Sprecherin 01: Wolfgang Müller sitzt in seiner Kreuzberger Wohnung. In einer Glasvitrine stehen Bücher über Island. Auch antiquarische. Wolfgang Müller lebt zwischen Berlin und Reykjavík. Ist Erfinder des ersten „privaten Goetheinstituts“, schreibt Bücher über Island, wie "BLUE TIT - das deutsch-isländische Blaumeisenbuch“, macht Platten, Kunstaktionen, Filme und gehörte zu den Gründern der Gruppe „Die Tödliche Doris“. - „Die Tödliche Doris“ war nicht einfach nur eine Band aus der Zeit von Punk und Neuer Deutscher Welle. „Die Tödliche Doris“ war ein Gesamtkunstwerk. Der Kunsttheoretiker Wolfgang Max Faust bezeichnete die Arbeit der Gruppe als „Cross Culture“. Zwischen 1980 und 1987 – so lange gab es die Gruppe – entstanden mehrere Kassetten und LPs. Außerdem wurde eine ganze Reihe Super-8-Filme produziert, die inzwischen den Weg in die Hochkultur gefunden haben. So befinden sich Werke der "tödlichen Doris“ in der Sammlung der Design-Universität von Kobe in Japan, in der Hamburger Kunsthalle, im Landesmuseum von Sachsen-Anhalt und im Hamburger Bahnhof – dem Museum für Gegenwart in Berlin. Der Maler Sigmar Polke war Fan der Gruppe und Rainer Werner Fassbinder – so geht die Legende – tauchte kurz vor seinem Tod in einem Berliner Plattenladen auf und erkundigte sich nach der Gruppe. Er wolle ihre Musik in einen Film einbauen. Eine andere Version der Geschichte besagt, dass Fassbinder sogar einen Film über die Gruppe machen wollte. Selbst filmte „Die Tödliche Doris“ auf

Wolfgang Müller: Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8, Super-8 [wird übergeblendet in die Musik]

Wolfgang Müller: Wir haben die Kodaksachen nicht ausgesucht, weil sie so schön waren, sondern aus ganz anderen Erwägungen. [...] weil sie konventionell waren. Und wie kann man aus einer konventionellen Sache Ideen machen und die ändern sich mit dem Material. [...] Das Material präsentiert Naivität. Natürlich transportiert es keine Naivität, aber es hat diese Ausstrahlung, eben weil so viele Leute ihre Urlaubsfilme damit gemacht haben. Es sieht nicht aus wie Kunst und das passt ganz gut in diese Punkgeschichte rein.

Sprecherin 01: „Die Tödliche Doris“ spielte mit den Formen der unsinnlichen, strukturellen, verkopften Experimentalfilme der 70er Jahre, drehte trashige Punkfilme wie „Sabine – aus meinem Tagebuch“.

Sprecher 02: Eine Hardcorepunkerin ist als Hippiemädchen verkleidet, sitzt inmitten einer Kunstblumenrasenwelt und liest aus ihrem Tagebuch aus ihrer Hippiezeit über Herz, Schmerz und die große Liebe.

Sprecherin 01: 1982 gibt Wolfgang Müller das Buch "Geniale Dilletanten" heraus mit Beiträgen unter anderen von Gudrun Gut, Matthias Roeingh - später bekannt als Loveparade-Guru Dr.Motte - Blixa Bargeld und Frieder Butzmann. Es war kein Manifest, eher eine sehr freie Spielanleitung für die damalige West-Berliner Kunstszene.

Wolfgang Müller: [...] Ein Film wie „Tapete“, der 30 Minuten Tapetenmuster zeigt, da war das Drehbuch der konventionellste Tapetenkatalog, den es damals gab. Das war der von 1984 und den haben wir dann abgefilmt. Also das waren 1984, George Orwell, die beliebtesten Tapeten, die sich am meisten Leute kaufen. Wir haben gedacht, Film ist ja immer eine Tapete. Es gibt gute Tapeten, schlechte Tapeten aber eigentlich ist Film immer erst mal Tapete. Und da haben wir gedacht, da filmen wir die ab. [...] Wir wussten, wir hatten einen Auftritt im Delphikino und das Delphikino ist eine riesige Breitfeldleinwand und wir dachten, es wäre toll, den Super-8 auf diese Leinwand zu projizieren. Für die Performance im Hintergrund. Dann haben wir also die Tapetenmuster abgefilmt und da entstand dieser Film „Tapete“. Der lief dann dort auf dieser riesigen Leinwand, unscharf, weil es so riesig war, und wir haben davor Performance gemacht. Da haben mir Leute gesagt: Ja, Super-8. Hätten wir damals 35 Millimeter gehabt, hätten wir auch auf 35mm gedreht. Das wäre doch ein toller Film.

Sprecherin 01: Der K40 und der Super-8-Film waren jedoch nicht nur aus Budgetgründen das bevorzugte Material der Gruppe. Super-8 war Teil der deutschen Mittelstandswelt, wie Robert Van Ackeren sagt. Und damit war bereits das Material an sich aufgeladen mit Bedeutung. Und je nachdem, wie man mit dieser Bedeutung umging, bekam der Film etwas Naives, etwas Banales, manchmal auch etwas Unheimliches. Material und Inhalt verhielten sich zueinander und produzierten so neue Bedeutungen.

Wolfgang Müller: Jede Materialität bedingt natürlich eine andere Ästhetik. Das ist ganz klar. Video wirkte kühl und künstlich damals und Super-8 wirkte warm und heimkinomäßig. Aber das ist natürlich auch eine Projektion, denn Video ist nicht kalt und Super-8 ist nicht warm. Das kommt ganz darauf an, was man damit dreht. Und das hat man natürlich einbezogen. Wenn man so einen Tapetenfilm dreht, dann ist das heimelig geworden, aber wenn man einen Film gedreht hat wie „Das Leben des Sid Vicious“ - der kleine Oskar mit Hakenkreuz-T-Shirt den zweieinhalbjährigen Sid Vicious spielt, dann ist [...] die Wärme ganz anders. Die wirkt dann gar nicht warm, sondern das wirkt dann, als ob jemand ganz naiv ist. Dieser Heimkinoeffekt verbindet sich mit der Geschichte und dem Inhalt des Filmes, den ganzen Zeichen, die da eingesetzt werden.

Sprecherin 01: Vor kurzem erstand der Hamburger Bahnhof, das Museum für Gegenwartskunst in Berlin, das Super-8-Werk von „Die Tödliche Doris“. Jetzt da K40 eingestellt worden ist, gewinnen da plötzlich die Super-8-Filme der Gruppe zusätzlich an Wert?

Wolfgang Müller: Es wäre interessant zu untersuchen, wie weit gesellschaftlich Material wertvoll wird. Für mich ist so ein bisschen das Zeichen, dass es jetzt im Hamburger Bahnhof hängt. Eine digitale Kopie, nicht das Original. Bis jetzt hat sich noch niemand für die Originale interessiert.

Sprecher 02: Also Kuratoren aufgepasst!

Sprecher 02: Es ist Nacht in Berlin Kreuzberg. Die Pücklerstraße ist wie immer kläglich beleuchtet und vor dem Restaurant der alten Markthalle stehen ein paar Leute. Drinnen wurden vor ein paar Jahren die Kneipenszenen für den Film „Herr Lehmann“ gedreht. Im Keller darunter legen heute Jörg Buttgereit und sein Kumpel „Mr. Target“ Musik aus B-, C- und D-Thrillern auf. Jörg Buttgereit wurde 1987 mit seinem Film „Nekromantik“ bekannt: die Geschichte einer sexuellen Dreiecksbeziehung, bei der einer der Beteiligten bereits seit geraumer Zeit tot ist. „Nekromatisch“ eben. Der Protagonist arbeitet bei einer Firma mit dem Namen „Joes Säuberungsaktion“. Der Laden ist darauf spezialisiert, Leichen zu bergen. Und eines Tages stiehlt er einen bereits recht stark angefaulten Toten und bringt ihn mit nach Hause...... [Stimme geht hier im Lärm der Musik und des Projektors unter]

Sprecher 02: Was macht ihr hier?

Jörg Buttgereit: Wir trinken Bier!

Sprecher 02: Super!

Jörg Buttgereit: Wir haben eine große Kollektion von alten Super-8-Kurzfilmversionen von so bekannten und weniger bekannten Horror-, Sex- und Crimefilmen. Wir legen Schallplatten auf und zeigen dazu alte Super-8-Filme. Manchmal zeigen wir auch alte Urlaubsfilme. Weil wir zum Teil auch Filme auf Flohmärkten erstanden haben, von fremden verstorbenen Leuten [...] Für uns hat es eine filmästhetische Komponente. Für uns ist dieses alte zerkratzte Super-8-Image, was wir da auf der Leinwand haben, viel näher an der Kinoerfahrung dran, [...] als irgendeine Video oder Digitalprojektion [...] Meine Lieblingsgodzilla-Filme habe ich damals auf 20 Minuten runter geschnitten gekauft. Man hatte also 20, 25 Minuten Film, der hat 150 Mark gekostet und wenn man aus einem 90 Minuten Film die Essenz eindampft, ist das total unterhaltend. Und man kann es total oft sehen. Und aus dieser Straffung ist eine eigene Ästhetik entstanden. Da sind ganz derbe Schnitte drin. Da geht es ständig ab. Das Monster kommt schon nach zwei Minuten und nicht erst nach einer Stunde. [..] Das ist eine eigene Kultur, eine pure Exploitation-Trashkultur, die die Leute da betrieben haben, weil sie einfach wussten, wir bekommen den Film nicht in voller Länge drauf. Wir machen jetzt nur das Beste, den Sex und die Gewalt da rein, dann ist wieder gut.

Sprecher 02: Deshalb bin ich eigentlich nicht hier. Wir machen so einen Nachruf auf Kodachrome 40, der ja vor ein paar Tagen in Renens in der Schweiz verschieden ist. Aber schön zu sehen, dass Super-8 trotzdem noch so lebendig ist. - Alle berühmten Regisseure wie Steven Spielberg, Roland Emmerich, Spike Lee, Wim Wenders, George Lucas, Francois Ozon haben auf Kodachrome 40 ihre Karriere begonnen. - Mit was hast Du angefangen zu drehen?

Jörg Buttgereit: Der erste Film, den ich gedreht habe, hieß Interview mit Frankenstein. Da war ich 14 Jahre alt. Den habe ich natürlich auf Kodak40 gedreht. Das war einfach das einzige Zeug, das in der Drogerie nebenan verfügbar war. Der hatte nur Kodak. Aber es war schon der Film mit der Tonspur, die High-End Version. [...] und weil ich einen Drei-Minuten-Film machen wollte, habe ich ihn auf 18 Bilder [...] gemacht und nicht auf 24, denn dann wäre der Film nur 2,5 min geworden, [...] Da der so grottig ist, ist er bis heute nicht veröffentlicht. [...].Man sieht eigentlich auch nichts anderes, außer dass ein Freund von mir mit einer Frankensteinmaske interviewt wird und am Schluss wird der Interviewer, den ich spiele, von dem Monster umgebracht, weil die Fragen zu indiskret werden. [...] Die 15 Filme, die ich danach gemacht habe, sind aber so ziemlich alle veröffentlicht.

Jörg Buttgereit: Damals, als ich meinen ersten Spielfilm auf Super-8 drehen musste, das war Nekromantic, da habe ich tunlichst vermieden zu sagen, dass der Film auf Super-8 gedreht wurde. Weil Super-8 immer was mit Heimkino zu tun hatte und Vaters Mallorca-Urlaub. Aber nichts mit Filmkunst. Wir haben den Film ja auch nur auf Super-8 gedreht, aber vorgeführt auf 16 Millimeter. Und später, als der berühmt wurde, bei Festivals gespielt werden sollte, da habe ich tatsächlich ein Blow Up auf 35 Millimeter machen lassen. Was ein echter Quantensprung war und fast soviel gekostet hat, wie den Film nochmal neu zu drehen. Aber es lohnt sich. Die Kopie existiert immer noch, die 16er Kopien sind mittlerweile alle im Arsch.

Sprecher 02: Deshalb

Jörg Buttgereit: Nekromantic ist im Umkehrmaterial gedreht, aber nicht K40, sondern Fuji. Weil wir festgestellt haben - wir haben wirklich vorher Tests gemacht - dass die Sachen, die wir drehen wollen, etwas herber aussehen, wenn die diesen Grünstich, den Fuji hatte, den haben wir gut gebrauchen können. Blut wurde dadurch einfach ein bisschen schwärzer. [...] Wir hatten, [...] halt nur Wasser mit Lebensmittelfarbe angedickt. Und das sah halt nicht so echt aus. Und mit Fuji sah das echt aus. Mit Kodak hätte es einfach zu rot ausgesehen. Nicht dreckig genug. Agfa wäre noch eine Alternative gewesen, aber damit hätte es gleich wieder nach Urlaubsfilm oder nach Porno ausgesehen. Aqua hatte ja diese Colour-Climax-Ästhetik ein bisschen. Heute stehe ich total auf diese ganzen Farbstiche. Und auf diese Filmästhetik, dieses grobe Korn, das Super-8 garantiert. [...] Ich habe es ]aber[ aufgegeben, damit zu drehen. 1995 habe ich nochmal auf Super-8 gedreht. Aber da schon auf Fuji. Da habe ich einen Musikclip gedreht und wollte einfach diese Ästhetik haben. Sehr renommierte Leute, zum Beispiel Anton Corbin hat ja eine Menge Depeche-Mode-Videos in Super-8 gedreht. Mittlerweile ist das ja richtig ein Prestigeding.

Sprecherin 01: Am Ende war der K40 im Mainstream der Massenkultur angekommen. Nicht nur große Kinofilme wurden bewusst auf Super-8 gedreht, auch die Werbebranche nutzte den Look des Materials. Eines der letzten Beispiele war der Spot für den neuen Golf:

Max Penzel: Man erinnert sich an diesen Golfspot, wo der Typ schon von Anfang an den Ellenbogen aus dem Wagen hängen lässt und im Stehen pinkeln kann und solche Nummern. Das ist auch auf Super-8 gedreht. Das ist eine supertolle inhaltliche Idee, weil der Golf in dieser Zeit raus kam und damals wurde mit Super-8 gefilmt. Das heißt, die Leute erinnern sich an die GTI-Zeit auch als Super-8-Zeit zurück. Und dann hat man es auch in der Werbung eingesetzt. Ich glaube, dass die Möglichkeiten für Super-8 sowohl im inhaltlichen Erinnerungsprozess, als auch im gestalterischen, einen anderen Look zu erzielen, eine wichtige Farbe in der Palette eines Filmemachers sein sollte.

Sprecherin 01: Max Penzel ist ein junger Kameramann. Er hat die spezielle Super-8-Kamera gebaut für den Dominik-Graf-Film „Der rote Kakadu“ und den Franka-Potente-Film „Der die Tollkirsche ausgräbt“. Da die Super-8-Technik nicht auf den Profieinsatz ausgelegt ist, birgt sie für professionelle Produktionen erheblichen Risiken. So gibt es Beispielsweise keine Videoausspielung, bei der der Regisseur die Arbeit des Kameramannes und der Schauspieler verfolgen kann. Es gibt oft auch Problem mit Fusseln auf dem Filmstreifen, Kratzern und ähnlichen Unzulänglichkeiten. Max Penzels Kamera schließt eine Menge dieser Amateureinschränkungen aus und macht Super-8 profitauglich.

Max Penzel: Eine Super-8-kamera bringt einfach was Märchenhafteres. [..], denn ich kenne super-8 jetzt nicht aus meiner Kindheit und Jugend, weil ich mit Video aufgewachsen bin, weil es damals diesen Umschwung gab und ich kenne es sozusagen nur aus den Erinnerungen meiner Eltern und Großeltern. Für mich hat es eher was märchenhaftes, es ist wärmer, erzählt von einer anderen Welt, auch weil es nicht so ausschaut wie mit der Video-Kamera. Es ist ein Tool. Wenn meine Kindheit mit Super-8 aufgezeichnet worden wäre, hätte ich eine viel schönere Kindheit gehabt.

Klaus Beyer: Ich war auf der 8. documenta. Da konnte ich selber nicht dabei sein. Denn Kerzenwachszieher ist mein Beruf und da habe ich noch gearbeitet und mein Chef hat es nicht zugelassen, dass ich woanders hingehe. Und so musste ich in der Firma bleiben, während mein Super-8 auf der documenta gelaufen ist. [...] Mein Chef fand es überhaupt nicht toll, dass ich so Super-8 mache und Musik mache. Er hat das so als zweiten Beruf angesehen und hat immer gesagt, entweder Gesang oder Kerzen. Ich soll mich um die Kerzen kümmern und gar keine Musik mehr machen, das wollte er am liebsten.

Sprecher 02: Klaus Beyer ist eine Ausnahmeerscheinung ...

Frank Behnke: Klaus Beyer ist der genialste Dilettant, den ich kenne.

Sprecher 02: Sagt Frank Behnke, ebenfalls Filmemacher und Manager von Klaus Beyer und – selbstverständlich - Klaus-Beyer-Experte. Er hat das Buch „Das System Klaus Beyer“ gemacht, in dem er das Werk des „genialsten Dilettanten“ würdigt. - Die Karriere Klaus Beyers ist keine typische Super-8-Karriere. Der gelernte Kerzenzieher wurde 1952 geboren, machte 1972 eine Gesellenprüfung zum Kerzen- und Wachszieher und bekam 1978 vom Vater eine Super-8-Kamera geschenkt. Sein erster Film hieß „Zoo“. 1980 begann Klaus Beyer,Songs der Beatles ins Deutsche zu übertragen und zu verfilmen. 1985 hatte er seinen ersten Liveauftritt im Berliner Club „Trash“. Ein Jahr später entdeckte ihn der Regisseur Georg Maas für seinen Film „Ein normales Leben“ und gab ihm dort eine Nebenrolle. Seitdem hat Klaus Beyer eine Unzahl von Konzerten, Auftritten als Schauspieler, Filmvorführungen, Theaterstücken absolviert. Unter anderem arbeitete er mit Christoph Schlingensief, bei dem er gerade auch wieder in einem Theaterstück als „Elton John“ auftritt. Seinen Manager Frank Behnke traf er bei seinem ersten Einsatz als Schauspieler in „Ein ganz normales Leben“.

Frank Behnke: [...] Dann hab ich mir das mal angeguckt und bei der nächsten öffentlichen Veranstaltung die dann war, war ich absolut überzeugt. Ich war damals selber Filmstudent an der Filmakademie Berlin und habe das gesehen, was das purste ist. Wo wir in endlosen Diskussionen immer drüber geredet haben, wie man authentisches Kino machen kann. Welche Storys man nehmen muss und welche Kamera, welche Haltung. Und bei Klaus war das einfach da. Es war so pur da, wie ich es noch nie erlebt habe. Und fortan haben wir zusammen gearbeitet. Das heißt ich habe dann als sein Manager fungiert und habe zugesehen, dass ich mit meinem Möglichkeiten – ich hatte damals sehr gute Verbindungen zum Kino – sobald ein Klaus-Beyer-Super-8-Film fertig war, den auch ins Kino gebracht habe. Dann gab es immer eine große Vorführung: Klaus Beyer singt einige Lieder der Beatles. Und dann sein neuer Film, Super-8 auf der Großleinwand.

Klaus Beyer: Ich mache mit Selbstauslöser oder Fernbedienung alles selber. Hinter der Kamera und vor der Kamera stell ich mir ein, und dann spiele ich das. Wenn jemand anderes dazu kommt, der hat eine andere Idee und das möchte ich nicht. Ich möchte lieber mein eigenes Ding durchziehen und mich nicht von jemand anderem beeinflussen lassen. Deshalb mache ich alles alleine. [...] In meiner Wohnung ist eine grüne Gardine mit Blümchen drauf, die ist berühmt geworden. Da stelle ich mich hin und hab so einen Klebestreifen. Ich stelle mich also ganz dicht an die Gardine und klebe den Klebestreifen über meinen Kopf. Dann gucke ich durch die Kamera durch und stelle sie so ein, dass der Klebestreifen zu sehen ist. Dann darf ich natürlich nicht vergessen, den Klebestreifen abzureißen und so habe ich meine eigene Einstellung. [...]Wenn ich schneide, nehme ich eine normale Schere, schneide durch, wo zu schneiden ist und dann klebe ich mit einer Klebepresse. Mit Klebeplättchen. [...]Super-8 ist das bessere Material. Man hat was in der Hand. Mit Video hat man kein Material in der Hand, da ist einfach was auf dem Bildschirm. Und so hat man was in der Hand zum bearbeiten. Ich glaube, man kann auch besser schneiden. Ich hab da meine Technik, weiß wie ich das Schneiden kann, hab da meine Technik und dass ich einfach richtig gutes Material in der Hand habe.

Sprecher 02: Vor zwei Jahren war Klaus Beyer mit seinem Manager Frank Behnke in San Francisco.

Klaus Beyer: Mein sehnlichster Wunsch war immer, San Francisco zu sehen.

Sprecher 02: Natürlich hatte der „genialste Dilettant“ auch seine Kamera dabei.

Klaus Beyer: [...] Das Material habe ich auf Super-8 gedreht, auf Kodakchrome. Das ist ganz tolles Material, die beste Qualität, würde ich sagen. [...] Das Material lag bis jetzt noch rum, ich habe mich nicht so richtig dran getraut, aber jetzt werde ich es erstmal schneiden. [...] Als ich ]in San Francisco[ ankam, hatte ich überhaupt noch keine Idee für einen Film. Ich hab einfach gefilmt und mir die Stadt angesehen. Die berühmte Golden Gate Bridge und so. Das hab ich alles erst mal abgefilmt, aber ich wusste überhaupt noch nicht, das einzuordnen, das habe ich erst später gemacht. [...]Wir haben ja auch einen Ausflug gemacht. Von San Francisco nach Los Angeles. Auf dem Weg habe ich alles gefilmt.

Klaus Beyer: [...]Da ist mir dann auch die Idee gekommen, auf dem Weg und dann zurück, dass es einen Song in den 60er Jahren gab: Let’s go to San Francisco und da kam mir die Idee [...] Der Film wird so lang wie der berühmte Song San Francisco von Scott McKenzie, denn das soll meine Vorlage sein für diesen Film. [...]Das kann man vielleicht im nächsten Jahr sehen, vielleicht auch schon in diesem, aber eher im nächsten.

Sprecherin 01: Spontan, autonom – und jenseits des herrschenden Kunst- oder Filmbetriebs arbeitet Klaus Beyer. Das Medium und Material Super-8 ist für ihn ideal. Die einfache Technik fördert ein direkteres Arbeiten und bringt oft auch spannendere Ergebnisse als der „große Film“. Und aufgrund seiner leichten Handhabung und seiner geringen Kosten eigent er sich hervoragend, gesellschaftliche Realitäten intensiver und jenseits des professionellen Blicks massenmedialer Verwertung wahrzunehmen. Oft sind die privaten Schmalfilme die authentischeren Zeugen für eine vergangene Epoche als die öffentlichen Bilder.

Claus Löser: Nach dem Ende der DDR und dem Eintritt in das neue Deutschland, hat man sich nach einem kurzen Schock gefragt: Ja, was war das eigentlich, was haben wir da erlebt und was war das Spezielle, was uns getrieben hat. Aus diesem Rückblick heraus, habe ich angefangen, Anfang der 90er Jahre die Kontakte, die zwischendurch abgebrochen waren, wieder zu knüpfen. Die Freunde und Kollegen, die ich aus den frühen 80ern kannte und die durch Ausreise und andere Dinge ziemlich weit verstreut waren, wieder ausfindig zu machen und nach den Filmen systematisch zu fragen. Damals wurde die Idee geboren, aus diesen Filmen einen Pool zu bilden. Ein Archiv, in dem dieses ganz spezielle Kapitel ostdeutscher Filmgeschichte zusammengefasst wird, damit es eine Möglichkeit gibt, auch von Außen einen zentralen Zugriff zu ermöglichen. Das war die Idee des Archivs „ex oriente lux“.

Sprecher 02: Claus Löser ist Filmwissenschaftler. Seine Dissertation hat den voluminösen Titel: „Strategien der Verweigerung - Untersuchungen zum politisch-ästhetischen Gestus unangepasster filmischer Artikulationen im finalen Jahrzehnt des DDR-Sozialismus“. 1996 gründete Löser das Filmarchiv „ex oriente lux“. Das Archiv bewahrt vor allem Super-8-Filme aus der DDR-Zeit.

Claus Löser: Die Filme sind auf eine paradoxe Weise, obwohl sie versuchten, unpolitisch zu sein, in hohem Maße politisch. Eben weil sie nicht vorgesehen waren. Es gab ein realsozialistisches Bilderverbot. Und gerade im Bezug auf das bewegte Bild war der Staatsapparat und seine Kontrollorgane immens misstrauisch. Es gab ein Riesengesetzeswerk, um zu verhindern, dass ohne Kontrolle Filme gemacht werden. [...] Und gerade das Ignorieren der vorhandenen Umstände macht das hochpolitische dieser Filme aus. Rückblickend haben wir den Effekt, dass mit den Super-8-Filmen plötzlich Dokumente vorliegen, die Ausschnitte aus der DDR-Wirklichkeit dokumentieren, wie sie sonst nirgendswo vorliegen. Wenn wir heute zeitgeschichtliche Dokumentationen sehen, Sendungen, in denen es um die DDR geht, werden ja immer dieselben Bilder benutzt aus irgendwelchen DDR-Archiven. Es ist den wenigsten Leuten bewusst, dass diese Bilder, die als Erinnerungsapparat funktionieren, staatlich gestützte und sanktionierte Bilder sind, dass sie alle durch den Zensurapparat der DDR-Kontrollinstanzen gegangen sind. [...]Die mediale Erinnerung an die DDR wird zu 95% mit Bildern der DDR gespeist, mit staatstragenden Bildern der DDR. [...] Die Filme, die wir gedreht und gesammelt haben, nicht. Das ist der Unterschied. Das macht das politische dieser Bilder aus, weil sie Gegenbilder sind. [...] Es gibt eine Reihe von Filmen in unserem Archiv, die künstlerisch gesehen keine großen Meisterwerke, aber trotzdem immens wichtig sind. Als Speichermedium für eine Wirklichkeit, die nicht mehr existiert.

Sprecher 02: Die Wirklichkeit der DDR – jenseits der offziell verordneten Bilder. So ist auch hier Super-8 wichtiges Medium des unmittelbaren Erinnerns und des Zugangs zur Vergangenheit. Allerdings gab es im Osten nicht die warmen Farben des K40, sondern das kalte, grün- und blauchstichige ORWO-Material. So erscheint die DDR-Erinnerung in einem kühleren Ton, als die meisten Westerinnerungen.

Claus Löser: Ein wichtiger Filmemacher aus dieser Szene war Gino Hahnemann, er ist gestorben, dieses Jahr am Ostermontag 2006. [...] Er hat einen Film gedreht über Friedrich Hölderlin. Der heißt, „an Zeichen sind wir deutungslos und haben die Sprache fast in der Fremde verloren“. Das ist ein Zitat von Hölderlin. Den Hölderlin in diesem Film spielt Sascha Anderson. Ich sehe mir diesen Film an und plötzlich gibt es da eine Stelle, da sieht man den Anderson im Bild als Hölderlin und auf der Tonspur ist ein Stück zu hören, von der Gruppe Bauhaus.

Claus Löser: Das Stück heißt „The spy in the cab“. Das ist extrem merkwürdig. Ich kann den Gino nicht mehr fragen. Aber hat er das unbewusst gemacht, diesen Soundtrack auf den Sascha Anderson zu legen hat er es gewusst, dass Anderson bei der Stasi war. Keine Ahnung. Aber es gibt viele von diesen merkwürdigen Überschneidungen und der alte Spruch, dass das Kunstwerk immer mehr weiß, als der Urheber, bewahrheitet sich in diesen Filmen. Das Wissen der Filme ist größer als das Wissen der, die die Filme gedreht haben.

Sprecherin 01: Wie bei jedem Requiem kommt am Ende die Auferstehung: Der K40 ist tot – Super-8 aber lebt – anscheinend mehr denn je. So kommt demnächst der Film von Franka Potente „Der die Tollkirsche ausgräbt“ raus. Ihr Regiedebüt wurde komplett auf Super-8 gedreht. Gerade war Dominik Grafs Film „Der Rote Kakadu“ in den Kinos, in dem ebenfalls Teile auf Super-8 entstanden sind. In der Werbung, in Videoclips selbst in Hollywoodfilmen wie „The Game“, „Natural Born Killer“,„U Turn“ oder „Crazy Horse“ lebt Super-8 auch weiter. Nur in Europa können die nicht mehr entwickelt werden. Das letzte Kopierwerk bei Lausanne hat dicht gemacht. Die bunten Farben sind beerdigt. Und Dominik Graf hält die Trauerrede:

Dominik Graf: Ich habe für einen Film, den ich mit dem Michael Althen zusammen gemacht habe, über München Super-8-Bilder verwendet für die Kindheit, wie jemand fast im Säuglingsalter diese Stadt wahrnimmt. Nämlich gar nicht, nur aus kleinen Fetzen zusammengesetzt. Und da gibt es ein paar Einstellungen, die ich frühmorgens hier aus meinem Fenster raus gedreht habe, hier um die Ecke in der Dietrichstraße, auf Dächer. Das Rot ist unbeschreiblich. Es ist, als würde die Welt neu geboren. Dieses Rot, was da über den Dächern liegt, bekommen sie gar nicht mit anderem Material, ich weiß gar nicht, wie man das filtern sollte, in dieser Mischung aus Körnigkeit, als wäre es wirklich der erste Blick auf die Welt, als würde man wirklich aus einer dunklen Höhle den ersten Blick hinaus, als würde die Welt in diesem Augenblick entstehen. Das sind dann so Magenta-Anteile und dann ein Licht, dass die ganze Nacht immer gegenüber, ich erinnere mich als kleines Kind, da war so eine Wohnung, da war immer Licht, eine Lampe brannte da immer. Und bei mir war auch so eine Wohnung gegenüber. Und diese Lampe bekommt in der Wärme, im Verhältnis zu der Kälte der Morgendämmerung außenrum, einen Glüheffekt, als könnte man sich in diese immer leere Wohnung mit dieser Lampe alle düsteren und tollen Geheimnisse dieser Welt im Kopf reinschreiben. Das ist wenn Super-8 nicht mehr hergestellt wird – das ist einfach ein Blick, Chance, Farben, als Charakterisierungen für Stimmungen zu verwenden, das ist dann einfach auf ewig verloren. Dass kann man auch nicht künstlich durch irgendwelche Färbungen hinbekommen. [...] Aber würde man versuchen, das Material mit einer höheren Empfindlichkeit wieder herzustellen, dann geht genau der Effekt flöten, der super-8 ist: Dass das Material sich anstrengt wie Hölle, um noch was draufzukriegen. Und in dieser Anstrengung entstehen die tollen Effekte von Körnigkeit, die quasi Unterbelichtung ist, aber mit dem Effekt von: ich will aber noch irgendetwas abbilden. Und dann bekommen die Dinge diese Glühkraft.

Sprecher 02: Unten, im Lac Léman spiegeln sich ein paar Sterne, die durch Wolkenschlitze leuchten. Der Himmel hat es aufgegeben, sich hier zu verkriechen. In der Rue du Simplon ist immer noch wenig los. Als der Zug aus dem Bahnhof fährt, gehen drüben in Renens in der Avenue de Longmalle Nummer 1 hinter den grauen Jalousien die letzten Lichter aus.

ENDE